„Vorsicht Tierheilpraktiker!“
Der Wissenschaftsjournalist und Tierrechtler Colin Goldner legt die Ergebnisse seiner kritischen Untersuchung von „alternativveterinären“ Diagnose- und Behandlungsverfahren vor
Von Susann Witt-Stahl

In der Hoffnung, dass die Tierheilpraktiker den Stachel des Negativ-Klischees vom „Quacksalber“ eines Tages abstreifen können, versuchen verantwortungsbewusste Mitglieder der Zunft seit Jahren, den Wildwuchs in ihrer Branche in den Griff zu bekommen: Sie setzen sich für transparente und patientenfreundlichere Organisationsstrukturen ihres Berufsverbands sowie für strengere und einheitliche Prüfungsrichtlinien ein. Bisher ohne Erfolg – denn die Mehrheit „Alternativveterinäre“ ist offenbar weder an strengeren gesetzlichen Regelungen noch an Selbstkontrolle interessiert.
Jetzt hagelt es massive Kritik von außen: Der Wissenschaftsjournalist Colin Goldner hat die Tätigkeitsbilder der Tierheilpraktiker, -homöopathen und -psychologen unter die Lupe genommen und sich mit den rechtlichen Grundlagen ihrer Arbeit und mit ihrer Ausbildung an den Tierheilpraktikerschulen ausgesetzt. Darüber hinaus hat er untersucht, inwieweit diese Berufsgruppe – die für sich in Anspruch nimmt, eine sanfte Alternative zu der sich primär der kapitalistischen Logik der Verwertung der „Ware“ Tier verpflichtet fühlenden Veterinärmedizin zu sein –, tatsächlich sein Versprechen einlöst, kranken Tieren zu helfen, sie vor Missbrauch und Quälerei zu schützen. Vor allem aber unterzieht der Autor die gängigen Methoden der Tierheilpraxis einer kritischen Überprüfung.
Bei der Lektüre von Goldners Studie wird schon nach wenigen Seiten deutlich, dass seine Kritik am Tierheilerberuf nicht auf kosmetische Korrekturen der defizitären Praxis der „Alternativveterinäre“ zielt – sie ist vielmehr als eine fundamentale zu verstehen ist, die u.a. skandalisieren will, dass die Mitglieder der Zunft sich (zuweilen recht komfortabel) in einem rechtsfreien Raum eingerichtet haben. Der Grund läge darin, so Goldner, dass „es den Beruf des Tierheilpraktikers in engerem Rechtsverständnis gar nicht gibt, mit der Folge, dass auch kein rechtliches Reglement für tierheilpraktische (Erwerbs-)Tätigkeit existiert“. Tierheilpraktiker sind medizinisch zu so viel bzw. zu so wenig befugt wie jedermann – beispielsweise ein Tierhalter. Der Gesetzgeber fragt weder nach seinen veterinärmedizinischen Qualifikationen und seinen Praxisgepflogenheiten noch kann ein Tierheilpraktiker für seine Ratschläge und Maßnahmen zur Rechenschaft gezogen werden, solange er nicht gegen die jeweils geltenden Tierschutz-, Arzneimittel-, Seuchengesetze verstößt. Es ist nicht einmal zwingend erforderlich, dass er einen der von einer Unzahl von Heilpraktikerschulen angebotenen „Studiengänge“ absolviert: „jeder“, kritisiert Goldner, „der sich berufen fühlt, kann sich ein Messingschild gravieren lassen, das ihn als ‚Tierheilpraktiker’ – wahlweise auch als ‚Tierhomöopathen’, ‚Tierpsychologen’ oder ‚Tiertherapeuten’ – ausweist, es an der Haustür montieren und hinfort alternativveterinäre Ordination abhalten.“
Die sieben stark miteinander konkurrierenden Berufsverbände (Privatvereine, meist Alumni-Einrichtungen von Tierheilpraktikerschulen) können laut Goldner zwar ihren Mitgliedern, außer „überzogensten Aufnahmegebühren“, eine Art „Meta-Legitimierung“ bieten (Verbandslogo, Ausweis und Stempel) – von Qualitätsgarantien für die „Kundschaft“, die die Dienstleistungen der Tierheilpraktiker in Anspruch nimmt, wollen sie jedoch nichts wissen. „Eine Kammer mit obligater Mitgliedschaft, die das Tun des einzelnen Tierheilpraktikers beaufsichtigen und gegebenenfalls Sanktionen einleiten könnte, gibt es, anders als in der Tierärzteschaft, nicht.“
Wie willkürlich die Berufsverbände zuweilen mit Mitgliedschaften umgehen, dokumentiert Goldner anhand der Geschäftsgebaren des Verbands deutscher Tierheilpraktiker (VDT): Der Autor hatte sich an den VDT mit der Bitte um Zusendung von Informationen gewandt. Als Antwort bekam Goldner nicht nur das angeforderte Material geliefert – ihm wurde auch gleich eine Graduation zum Tierheilpraktiker und eine Verbandsmitgliedschaft (selbstverständlich mit Ausweis und nummeriertem Verbandsstempel) verpasst.
Besondere Vorsicht sei geboten, so Goldner, wenn Tierheiler sich esoterischer Rhetorik bedienen, von „Schwingungen“, „Energien“ oder „spiritueller“ Heilkunde sprechen: „in der Regel wird durch derlei Begriffe lediglich verschleiert, dass das jeweilige Verfahren nicht oder nicht ausreichend belegt ist.“ Das gelte beispielsweise für so genannte Edelsteinmedizin, für Reiki, Ttouch, Systemaufstellungen nach Bert Hellinger oder Tierkommunikation – Methoden, die für ihre Anwender nicht nur äußerst lukrativ sind (ein 15- bis 30-minütiger „Gedankenaustausch“ mit einem Tier kostet zwischen 40 bis 250 Euro zuzüglich Spesen), sondern darüber hinaus auch noch die ideologische Funktion erfüllen, die Ausbeutung und Tötung von „Heimtieren“ gesellschaftlich zu legitimieren: So will beispielsweise Tierkommunikatorin und Reiki-Praktikerin Heike Uhde von einem Kaninchen vernommen haben: „Ja, wir sind gerne Haustiere, wir haben uns diese Aufgabe ausgesucht und wollen sie zu eurer Zufriedenheit ausfüllen.“ Ferner habe das Tier laut Uhde um einen „würdigen Tod“ gebeten. Damit meine das Kaninchen selbstverständlich Euthanasie, weiß die Tierkommunikatorin ganz genau und führt als „Beweis“ weitere Zitate des Kaninchens an – eine hervorragende Strategie, „Haustiere“, derer der Halter überdrüssig ist, zu entsorgen und gleichzeitig sein „schlechtes Gewissen“ zu anästhesieren.
Esoterik hat sich seit jeher als Apologie der herrschenden Verhältnisse erwiesen. „In seinen neun „Thesen gegen den Okkultismus“, der „Metaphysik der dummen Kerle“, hatte Theodor W. Adorno die Kritik am Abrakadabra der Wunderheiler, Engel- und Lichtanbeter, der Theo- und Anthroposophen auf den Punkt gebracht: „Der faule Zauber ist nichts anderes als die faule Existenz, die er bestrahlt. Dadurch macht er es den Nüchternen so bequem. Fakten, die sich von anderem, was der Fall ist, nur dadurch unterscheiden, dass sie es nicht sind, werden als vierte Dimension bemüht. Einzig ihr Nichtsein ist ihre qualitas occulta. Sie liefern dem Schwachsinn die Weltanschauung“, schreibt Adorno in seiner sechsten These. „Nichts gefällt dem Bestehenden besser, als dass Bestehen als solches Sinn sein soll.“
Das weiß kaum jemand besser als Colin Goldner. Denn er widmet sich seit Jahren dem Problem der Kontamination der Tierrechtsbewegung durch Esoterik, Religion und rechte Kultgemeinschaften wie beispielsweise die Sekte Universelles Leben, über die er Anfang des Jahres im Rahmen der „Tagung für eine kritische Theorie zur Befreiung der Tiere“ in Hamburg einen ausführlichen Vortrag gehalten hat. Er arbeitet auch als klinischer Psychologe und ist Leiter des Forums Kritische Psychologie, einer Beratungsstelle für Therapie- und Psychokultgeschädigte in der Nähe von München. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen, die sich kritisch mit der Esoterikszene und anderen antiaufklärerischen Phänomenen auseinandersetzen. 1997 ist sein Buch über den Missbrauch der Psychologie durch Esoteriker, religiöse Zirkel und Wunderheiler sowie den Ausverkauf der Psychotherapie auf dem esoterischen Psychomarkt unter dem Titel „Die Psychoszene“ erschienen. 2003 hat er den Band „Der Wille zum Schicksal“ mit kritischen Aufsätzen über den Familienaufsteller und Psycho-Guru Bert Hellinger herausgegeben.
Colin Goldner ist Mitbegründer der Tierrechtsorganisation 4pawsnet (www.4pawsnet.de). Daher ist es für ihn selbstverständlich, dass er ein besonders strenges Augenmerk auf das Verhältnis der Tierheilpraktiker zu ihren Patienten legt und der Frage nachgeht, inwieweit es sich von dem Verhältnis unterscheidet, das Schulmediziner gewöhnlich zu dem Eigentum ihrer Kundschaft pflegen: Den Beruf des Tierarztes auszuüben, bedeutet mehr oder weniger immer, in das gigantische, die gesamte Gesellschaft überwölbende Netzwerk der Tierausbeutung verstrickt zu sein. Den Veterinären kommt vorwiegend die Aufgabe zu, Tiergesundheit zum Zwecke eines risikolosen Fleisch- Milchprodukte- und Eierkonsums für den Menschen zu fördern. Zwar bleibt die Möglichkeit, sich auf „Heimtiere“ zu spezialisieren. Aber wer das Studium der Veterinärmedizin absolvieren will, kreuzt unweigerlich die Schlachtstraßen der Fleischindustrie und muss sich an den Seziertischen der Forschung einfinden, auf denen Tiere für die Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse geopfert werden – brutale Fakten, die den Tierheilpraktikerberuf vor allem für speziesismuskritische Menschen attraktiv erscheinen lässt.
Nur hält die alternativveterinäre Medizin auch ihr Versprechen, Tiere nicht als leblose Verfügungsmasse, sondern als leidensfähige Individuen zu behandeln? In dem Kapitel „Tierschutz Fehlanzeige“ legt Goldner überzeugend dar, dass es sich bei dem „sanften Tierheiler“ meist um nicht mehr als um eine mythische Figur handelt. So führen viele Heilpraktiker mit ausdrücklichem Segen der Berufsverbände beispielsweise schmerzhafte Eingriffe wie Kupieren, Kastrationen, Enthornungen oder das Einziehen von Nasenringen an „Nutztieren“ ohne Betäubung durch, anstatt, wie es Goldner zurecht fordert, „gegen derlei – vom Tierschutzgesetz gedeckte (!) – Tierquälerei zu opponieren und sich den genannten Praktiken zu verweigern, wie es dem Ethos der 'Tierliebe’ entspräche, dem die Tierheilpraktik in besonderem Maße verpflichtet zu sein vorgibt“.
Entsprechend negativ fällt Goldners Fazit aus: Weil Diplome und Abschlusszertifikate der Tierheilpraktikerschulen „überhaupt nichts“ besagten, warnt der kritische Psychologe, sei das Risiko zu groß, dass kranke Tiere an einen „inkompetenten Therapeuten“ gerieten und/oder „einer unsinnigen oder auch gefährlichen Methodik“ ausgesetzt würden. Sein unmissverständlicher Rat: „Lassen Sie keinen Tierheilpraktiker, Tierhomöopathen oder sonstig alternativen 'Tierheilkundigen’ an Ihrem Tier herummurksen!“


Colin Goldner – Vorsicht Tierheilpraktiker! „Alternativveterinäre“ Diagnose- und Behandlungsverfahren, Alibri Verlag 2006, ISBN 3-86569-004-1, 312 S., geb., 29.- Euro.