Mensch-Tier-Vergleiche und die Skandalisierung von Gewalt

Michael Fischer

(1) Noch bis ins 18. Jahrhundert kam es vor, dass Tieren, die Menschen verletzt oder getötet hatten, ein ordentlicher Prozess gemacht wurde, der üblicherweise mit einem Todesurteil endete. Oft waren es Schweine, die für die Tötung von Kindern bei lebendigem Leibe verbrannt, gesteinigt oder gehängt wurden. An Fällen, in denen die tierlichen Mörder mit dem Kopf nach unten aufgehängt wurden, wird die Symbolik der Strafe besonders deutlich: Die Tötung eines Menschen durch ein Tier stellte einen Bruch der gottgegebenen Hierarchie der Lebewesen dar, die nur durch eine Umkehrung wiederhergestellt werden konnte. Die Moderne, kritischer gegenüber der Selbstverständlichkeit von Hierarchien und ärmer an moralischen Gewissheiten, ist sich doch in diesem Punkt sehr sicher geblieben: Die Tötung von Tieren durch Menschen ist ein natürlicher Vorgang, die Tötung von Menschen durch Tiere ein bestialischer. Die Umkehrung von Tötenden und zu Tötenden verletzt eine tief verankerte moralische Ordnung, und so empört die tragische Tötung eines Kindes durch einen Hund das Kollektivbewusstsein mehr als mancher andere gewaltsame Tod. Von entsprechender Heftigkeit ist die gesellschaftliche Reaktion: Da wir an die Abschreckung tierlicher Täter durch die Hinrichtung ihrer Artgenossen nicht mehr glauben, wird die präventive "Ausrottung" ganzer Rassen von als gefährlich geltenden Hunden propagiert und die "Todesspritze für Killer-Maschinen" (BILD 29.6.00) gefordert. Wenn Kampfhunde-Halter dies als "Rassenwahnsinn" zu skandalisieren versuchen, reagieren Beobachter oft mit Unverständnis – der Vergleich menschlicher Opfer mit Tieren scheint diese zu "vermenschlichen" und jene zu entwürdigen.

(2) Die rigide moralische Grenze zwischen Menschen und Tieren, die als Kernbestand westlicher Anthropologie von der Antike bis heute erhalten blieb, konstituiert sich durch die Etablierung von Zonen divergierender Legitimationsbedürftigkeit von Gewalt. Während Tiere in weitgehender Beliebigkeit z.B. getötet werden dürfen (die "guten Gründe", die das Tierschutzgesetz verlangt, werden jährlich in Millionen von Fällen pauschal zugestanden), muss die Tötung von Menschen weitaus besser begründet werden, um soziale Akzeptanz zu erlangen. Die großen Abstände in der Legitimationsbedürftigkeit von Gewalt transformieren den im Grunde graduellen Unterschied in einen qualitativen, dem die Vorstellung naturgegebener Lebenswerthierarchien sowie institutionalisierte Formen der Gewalt gegen Tiere korrespondieren. Mensch-Tier-Vergleiche sind daher geeignete Mittel zur Skandalisierung von Gewalt - der Gewalt gegen Menschen durch den Hinweis auf eine üblicherweise Tieren vorbehaltene Behandlung, und der Gewalt gegen Tiere durch den Vergleich ihres Schicksals mit dem menschlicher Opfer.

(3) "Wie ein Tier" behandelt zu werden, ist eine Metapher für maximale Opferwerdung, die auf die moralisch indifferente Haltung gegenüber dem Opfer, auf die Formen der Misshandlung oder auf den Umgang mit einer Leiche Bezug nehmen kann. Das Schicksal der Opfer nationalsozialistischer Gewaltverbrechen wurde oft mit diesem Vergleich beschrieben. So berichtet etwa ein Überlebender, dass die Häftlinge an den Rampen von Auschwitz "wie Tiere" zusammengepfercht waren (FR 9.3.99); ein ehemaliger Zwangsarbeiter beklagt, dass seine Familie umgebracht wurde "wie Tiere, die niemand haben will" (FR 2.7.98). Das Thema der tieranalogen Behandlung kulminiert im Topos des Kannibalismus, der die Grenzüberschreitung im Umgang mit toten Körpern zum Gegenstand des Skandals macht. Die Erfindung kannibalischer, unzivilisierter Völker zur Rechtfertigung des Kolonialismus instrumentalisierte das starke Tabu, menschliche Körperteile wie tierliche zu verarbeiten und zu verzehren. Auch in der Wahrnehmung von Serienkillern, Sinnbildern der schlimmsten privaten Verbrechen, ist stets die Jäger-, Schlachter- und Metzger-Metaphorik von zentraler Bedeutung. Über Fritz Haarmann etwa, den Serienmörder im Hannover der 20er Jahre, kursierte das Gerücht, er habe seine Opfer zu Würsten verarbeitet und einen regelrechten Fleischhandel betrieben - bis heute erinnern sich manche des Liedchens: "Warte, warte nur ein Weilchen / dann kommt Haarmann auch zu dir / mit dem kleinen Hackebeilchen / Und macht Hackefleisch aus dir". Mehr noch als die Akte des Tötens war die vermeintliche Überschreitung der Mensch-Tier-Grenze Anlass zu zeitgenössischer Empörung und nachhaltiger Erinnerung.

(4) Eine andere Form der Skandalisierung ist der Topos der Besserstellung von Tieren, der sich regelmäßig z.B. in der Debatte über Kindesmisshandlungen findet. Deutschland, so hören wir, sei "ein gutes Tierschutzland, aber kein Kinderschutzland" (Pfeiffer, zit. nach TAZ 12./13.02.00) und in England seien die Tierschutzgesetze lange Zeit strenger gewesen als die des Kinderschutzes (ZEIT 29/00). Solche Vergleiche sagen wenig über die realen Verhältnisse der Nachkriegszeit (in Deutschland wie in England wurden und werden Tiere massenhaft legal ihrer Freiheit beraubt und getötet, nicht aber Menschenkinder), aber viel über die zugrundeliegende radikale moralische Differenzierung aus: Was als Tierschutz bezeichnet wird – etwa die Betäubung vor der Tötung –, gilt unter Menschen als Mord. Das Thema der Besserstellung von Tieren appelliert an Wertehierarchien, die es einfordert und verfestigt: Argumentativ entscheidend ist nicht, dass Kinder misshandelt werden, sondern dass eine moralische Ordnung durch die erfundene Besserstellung Minderwertiger aus den Fugen gerät.

(5) Während Mensch-Tier-Vergleiche, die die Misshandlung von Menschen skandalisieren, auf der strikten moralischen Mensch-Tier-Grenze aufbauen, ihre Einhaltung einklagen, und sie somit stabilisieren können, stellen Vergleiche, die Gewalt gegen Tiere thematisieren, die Grenzziehung selbst (mindestens in ihrem Ausmaß) in Frage. Dies wird zumeist solange als relativ unproblematisch hingenommen, wie das Schicksal von Tieren mit dem von Menschen ganz allgemein verglichen wird. So etwa wenn Nietzsche die moralische Exklusion von Tieren auf schlechte, nämlich bloß opportunistische Gründe zurückführt: "Man kann das Entstehen der Moral in unserem Verhalten gegen die Thiere noch beobachten. Wo Nutzen und Schaden nicht in Betracht kommen, haben wir ein Gefühl der völligen Unverantwortlichkeit" (Menschliches, Allzumenschliches II), oder wenn Kundera, ein Schopenhauersches Thema aufgreifend, seine Romanfigur sagen lässt: "Glaubst du etwa, eine Hirschkuh packte im Rachen eines Tigers ein kleineres Entsetzen als dich, wenn du darin wärst? Die Menschen haben sich ausgedacht, daß ein Tier nicht die gleiche Leidensfähigkeit hat wie der Mensch, weil sie sonst den Gedanken nicht ertragen könnten, von einer Natur umgeben zu sein, die Grauen und nichts als Grauen ist." (Die Unsterblichkeit)

(6) Solche Vergleiche aber, die tierliches Leid mit dem konkreter menschlicher Opfergruppen in Zusammenhang bringen, geraten oft in den Verdacht der antihumanistischen Entwürdigung des Menschen. Der tierrechtsphilosophische Begriff des "Speziesismus" soll, in direkter Analogie zu Rassismus und Sexismus, darauf hinweisen, dass Tiere auf der Basis eines willkürlichen, weil moralisch irrelevanten Kriteriums – der Artzugehörigkeit – diskriminiert würden. So wenig wie Hautfarbe oder Geschlecht ein Grund für moralischen Ausschluss sein können, so wenig könnten Körperbehaarung oder die Zahl der Beine entscheidend sein. Besonders der umstrittene Moralphilosoph Peter Singer greift dabei zur Veranschaulichung auf das sogenannte Marginal Case-Argument zurück: Um die moralische Irrelevanz empirischer Unterschiede (besonders der geistigen Fähigkeiten) zwischen Menschen und Tieren aufzuweisen, vergleicht er Tiere mit schwer geistig behinderten Menschen. Wenn wir uns trotz vergleichbarer (oder höherer) mentaler Kapazitäten der Tiere für das Lebensrecht von Menschen und gegen das Lebensrecht von Tieren aussprechen, so sein Argument, erweist es sich, dass wir im Grunde willkürlich entlang der Gattungsgrenze differenzieren – der empirische Grenzverlauf ist zu unscharf, um einer strikten moralischen Grenze als Fundament zu dienen (Animal Liberation). Vom Guten, das noch stets das Böse schafft? Singer belässt es nicht bei der Aufwertung tierlicher Interessen, sondern rüttelt an der Heiligkeit des menschlichen Lebens: Wenn wir erst erkannt hätten, so sagt er, dass der Gattung Mensch anzugehören nicht genug sei, um eine Tötung in jedem Fall falsch erscheinen zu lassen, müssten wir die bedingungslose Erhaltung menschlicher Leben neu überdenken. Obgleich der Zusammenhang zwischen der moralischen Aufwertung von Tieren und der Abwertung menschlichen Lebens keine theoretische Notwendigkeit darstellt, hat doch die in Singer personifizierte Vermischung von Tierbefreiungs- und Euthanasie-Debatte den Verdacht genährt, die Infragestellung der moralischen Mensch-Tier-Grenze könnte für Menschen gefährliche Konsequenzen haben.

(7) Ein auch unter radikalen Tierschützern umstrittener Vergleich, der die Zustände in der Massentierhaltung skandalisieren soll, ist die Rede von den "Tier-KZs". Es ist dieses Thema, das jetzt, in abgewandelter Form, von einigen Kampfhunde-Liebhabern aufgegriffen wurde, um ihre Hunde vor der präventiven Tötung zu bewahren. In der ZEIT (31/00) lesen wir: "Aus Protest heften etliche Halter deshalb ihren Hunden Judensterne an, schwenken bei gutbesuchten Demonstrationen Plakate mit der Aufschrift "Rassenwahnsinn" und setzen die Tötung von Kampfhunden mit dem Holocaust gleich. Die sentimental-vermenschlichenden Pro-Hunde-Argumente, die sie vortragen, mögen einen lediglich befremden (...). Die wahnwitzige Verdrehung der Kategorien aber, die aus dem Vergleich von Hunden mit Naziopfern spricht, ist Anlass für eine tiefergehende Bestürzung." Der Holocaust-Vergleich ist in vielen Hinsichten inhaltlich falsch. Besonders verkennt er, dass, im Unterschied zu der rassistischen Wahnvorstellungen entspringenden Gefährlichkeit der Juden, Kampfhunde in der Tat potenziell lebensgefährlich sind; dass die Prävention der Gefährdung durch Hunde nichts mit der nationalsozialistischen Rassenreinheitslehre zu tun hat; und dass die systematische Entwürdigung, Folter und Misshandlung der Juden in Ausmaß und Beliebigkeit weit über das hinausging, was uns das Tierschutzgesetz heute mit Hunden zu tun erlaubte. Indes: Allzu oft verbirgt sich hinter dem Vorwurf "sentimentaler Vermenschlichung" nur die begründungsfreie Weigerung, Tieren moralisch zu berücksichtigende Interessen zuzugestehen. Und die Empfindung einer wahnwitzigen, tief bestürzenden Verdrehung von Kategorien, deren richtige Ordnung aber nicht diskutiert wird, ist kennzeichnend für das Tabu, das selbstverständliche moralische Ordnungen vor Kritik bewahrt. Bei allen Unterschieden hinsichtlich des Realitätsgehalts der unterstellten Gefährdung, der ideologischen Begründung der Tötungen und den konkreten Strukturen und Formen der Machtausübung: Eine präventive Vernichtung qua biologischer Disponiertheit gefährlicher Individuen (wie auch die Selektion der zu Tötenden durch einen Charaktertest), das Programm der "Ausrottung" bedrohlicher Rassen durch Kastration und "Tötung aller noch anfallenden Welpen" (FAZ 28.6.00), die Diskreditierung von Kritik als fast pathologische Sentimentalität (ebd.), der Abbau von Tötungshemmungen und die Zelebration der Todesspritze – all dies sind Formen der Wahrnehmung von und des Umgangs mit gesellschaftlichen Risiken, die an nationalsozialistische Theorie und Praxis erinnern. Die Leichtigkeit und die Rigidität, mit der ein solches Denken die öffentliche Diskussion bestimmen kann, finden ihren Grund in der Idee biologisch determinierter Lebenswerthierarchien, deren Legitimität als unhinterfragbar naturgegebene erlebt wird.

(8) Während die Idee einer kosmologischen Wertungleichheit aus dem Bereich der menschlichen Gesellschaft seit der Aufklärung sukzessive - mit mehr oder weniger Erfolg - verbannt wurde, setzt sie an der Grenze zu anderen Tieren so strikt ein wie ehedem. Die Gleichzeitigkeit der Postulate der Gleichheit aller Menschen (ungeachtet empirischer Unterschiede) und der Ungleichheit aller anderen Tiere (ungeachtet empirischer Gemeinsamkeiten) resultieren in einer paradoxen moralischen Haltung, die, je nach Anwendungsfall, Lebenswerthierarchien verpönt oder voraussetzt. Die fragwürdige Logik dieser Konstruktion findet Ausdruck in einem gespaltenen Verhältnis zu Mensch-Tier-Vergleichen, die Analogien in der Logik der Exklusion von Menschen und Tieren oder Ähnlichkeiten in deren Behandlung behaupten: Sie sind gängig und pc, wenn sie der Skandalisierung von Gewalt gegen Menschen dienen, lösen jedoch Irritationen oder gar Empörung aus, wenn Gewalt gegen Tiere durch den Vergleich mit konkreten menschlichen Gewaltopfern skandalisiert werden soll.

(9) Wo der Grund dieser Empörung nicht nur in der Verteidigung unreflektierter Konstruktionen eigener Superiorität, sondern in der Angst vor einer möglicherweise gefährlichen Abwertung des Menschen zu suchen ist, ist sie durchaus ernst zu nehmen. Dass aber – ganz abgesehen von dem Leid, das sie für Tiere bedeutet - die Aufrechterhaltung einer strikten moralischen Mensch-Tier-Grenze für uns von Vorteil ist, muss bezweifelt werden. Das Nebeneinander von Tötungsverbot und Tötungserlaubnis ist eine in ihren tiefgreifenden Konsequenzen prekäre ideologische Konstruktion, die in der Empörung über Gewalt ebenso Anwendung findet wie in ihrer Rechtfertigung. Als strukturelle Schablone für die Neutralisierung von Gewalt wird die weitgehend unreflektierte Einteilung der Lebewesen in solche, die wir töten und solche, die wir nicht töten dürfen, regelmäßig auch Menschen zum Verhängnis - wo "Vermenschlichung" nichts weiter meint, als das Zugeständnis elementarer Rechte, ist stets auch Entmenschlichung als Strategie der Entrechtung möglich. "Vielleicht", so schrieb Adorno, "ist der gesellschaftliche Schematismus der Wahrnehmung bei den Antisemiten so geartet, daß sie die Juden überhaupt nicht als Menschen sehen. Die stets wieder begegnende Aussage, Wilde, Schwarze, Japaner glichen Tieren, etwa Affen, enthält bereits den Schlüssel zum Pogrom. Über dessen Möglichkeit wird entschieden in dem Augenblick, in dem das Auge eines tödlich verwundeten Tiers den Menschen trifft. Der Trotz, mit dem er diesen Blick von sich schiebt – "es ist ja bloß ein Tier" -, wiederholt sich unaufhaltsam in den Grausamkeiten an Menschen, in denen die Täter das "Nur ein Tier" immer wieder sich bestätigen müssen, weil sie es schon am Tier nie ganz glauben konnten." (Minima Moralia) Selbst im Hinblick auf tierliche "Täter" mag unsere Gleichgültigkeit gegenüber der Gewalt gegen Tiere zuweilen die Wirkung einer Wiederholung von Grausamkeiten am Menschen entfalten: Vielleicht hätte der Tod des Hamburger Jungen verhindert werden können, wenn unsere Gesellschaft auf die vorausgehenden Hundekämpfe nicht mit solcher Nonchalance reagiert hätte – aber da waren die Opfer ja bloß Tiere.