Rezension unseres Readers "My Brother's Keeper" aus der Tierbefreiung Aktuell

Anlässlich ihres 15-jährigen Bestehens hat TAN einen mit drei Essays, Erfahrungsberichten, diversen Interviews mit autonomen TierrechtlerInnen und Briefen bestückten Reader herausgegeben. Auf rund 100 Seiten werden darin kenntnisreich und in unprätentiöser, wenn auch akademischer Sprache, die gleichsam zum Weiterlesen einlädt, vielschichtig und abwechslungsreich die Vergangenheit und die gegenwärtige Verortung der deutschen Tierrechtsbewegung in ihren unterschiedlichen Facetten präsentiert; soweit es, wie angemerkt wird, eine solche "überhaupt gibt oder gegeben hat". Diese Abrechnung wird sowohl auf politisch-theoretischer Ebene als auch auf subjektiv-persönlicher Ebene geführt - wobei ein gewisser Sarkasmus den Texten Schärfen gibt - und dient damit einer Bestandsaufnahme des bisher Erreichten, den weiteren Zielen sowie veränderter Programmtik und Herangehensweise. Widersprüchliche oder zumindest abweichende Positionen werden hierbei ausdrücklich zugelassen. Gleichzeitg vermag diese Textsammlung auch die Frustration, die sich natürlicherweise ob der gewaltigen Aufgabe, die wir uns gestellt haben, einstellt, zu transportieren, ohne jedoch vollkommen in Resignation und Hoffnungslosigkeit zu versinken. Die im Reader enthaltenen Texte vermögen gerade durch die divergenten Perspektiven, die unterschiedlichen Primäranforderungen und - zumeist - konstruktive Kritik am Status Quo (nicht nur im Umgang mit nichtmenschlichen Tieren, vielmehr auch an menschlicher Gesellschaft als solcher und der Tierrechtsbewegung im besonderen) ein Gesamtbild dessen zu schaffen, was jedeR einzelne von uns innerlich mit sich austrägt bzw. aus der praktischen politischen Arbeit kennt, womit er/sie konfrontiert wird und sich dazu verhalten muss. Das bedeutet selbstverständlich auch eine Abrechnung mit der speziesistischen Linken, AntisemitInnen, etablierten TierschützerInnen ("welche die Möglichkeit einer Reform des Unrechtes statt seiner Beseitigung suggerieren", S.5) und LeichenteilenesserInnen (gerade in dieser Symbiose), die mehr als überfällig ist.

Herausragend ist der Aufsatz von Günther Rogausch, in dem er nachvollziehbar und schlüssig die Divergenzen zwischen Tierschutz und Tierrecht analysiert und ihre Unvereinbarkeiten und Antagonismen aufführt, zeigt, dass diese nicht graduell sondern absolut sind (und daher von unbedingter Relevanz!) und die Blindheit gegenüber diesem Unterschied als einen Grund für den gegenwärtigen Backlash gegenüber Tierrechtspositionen anführt. Er illustriert dies u.a. an den Schwerpunkten "Tierquälerei" und Protektionismus und führt dies an aufschlussreichen Beispielen aus.
Gleichzeitig ist der Text ein Plädoyer für den Veganismus, der Solidarität statt des Paternalismus und der Reflexion der eigenen Positionierung, die notwendigerweise radikal sein muss - eine relativierende Definition des Radikalismusbegriffes findet sich im übrigen in der Einleitung.

Melanie Bujoks Text beinhaltet im Anschluss daran eine soziologische Betrachtung der Kategorisierung der Tierrechtsbewegung im Rahmen des Sujets der neuen sozialen Bewegungen. Sie illustriert ihre Handlungsstrategien und Aktionsspielräume, ihre bewusste Nichtbeachtung als Folge des dominanten speziesistischen Diskurses und des Mensch-Tier-Dualismus. Die Fülle der von ihr verwendeten Ansätze und Zugangsweisen zur Thematik hätte jedoch mehr Ausführlichkeit verdient und wirkt daher mitunter etwas unstrukturiert bzw. überladen.

Martin Lejeune und Henry Lindenbaum greifen dann - abrisshaft - die Geschichte der Einbeziehung der Tiere in die bürgerliche Moral, deren immanente Grenzen und die daraus resultierende notwendige politische Neupositionierung der Bewegung auf, welche auf der Annahme, aber auch der Absage bwz. Modifikation und Weiterführung (z.B. Unity of Oppression Ansatz) politisch links besetzter Befreiungsideologien basiert. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die meist universell gemeinte linke Kritik am Tierrechtskonzept und deren Auswirkungen auf die Bewegung bzw. ihre Theorie(losigkeit) und die zumeist einseitig verlaufenden, schmerzhaften Annäherungsversuche der Positionen. Dies wird anhand des Naturverständnisses exemplizifiert. Gleichsam ist der Text ein Plädoyer für die unausweichliche Selbstreflexion, "theoretische Fundierung des Tierrechtsgedankens" (S. 80), Überarbeitung unserer herrschaftskritischen Ansätze und Aufnahme eines gesellschaftlich definierten Naturverhältnisses - diese Forderung versteht sich jedoch als Aufruf an die Bewegung, ohne die geforderte Umsetzung gleich selbst zu vollziehen.

TAN verspricht sich mit der Herausgabe dieses Readers, eine Diskussionsplattform zu schaffen, was als gelungen zu bewerten ist, stellen die Texte doch hervorragend die Notwendigkeit der Kontinuität des Kampfes für die Befreiung der Tiere bei gleichzeitiger Überarbeitung ihres theoretischen Unterbaus dar. Er ist daher nahezu ein Muss für alle diejenigen, die sich daran beteiligen wollen.

Mieke