Auschwitz liegt nicht am Strand von Malibu und auch nicht auf unseren Tellern
Kritische Anmerkungen zum „KZ-Vergleich“

Von Susann Witt-Stahl
Ein Foto zeigt abgemagerte Kinder in Häftlingskleidung hinter Stacheldraht, gleich daneben Ferkel eingesperrt auf engstem Raum. Unter dem Titel „Wandelnde Skelette“ sieht man nackte Menschen mit aufgedunsenen Hungerbäuchen neben einem unterernährten Kälbchen, das sich vor Schwäche nur noch mühsam auf den Beinen halten kann. Dann ein Bild von Häftlingen in den Lagerbaracken, aufgestapelt wie Ware, dicht an dicht auf schmutzigen Pritschen, und rechts daneben die nicht enden wollenden Käfigreihen der Legebatterien.
Die Aussage des schockierenden Bildvergleichs, der im Februar letzten Jahres von der Tierrechtsorganisation PETA ins Internet gestellt wurde, ist eindeutig: Das, was täglich in den Tierfabriken und Schlachthäusern stattfindet, ist der Holocaust der Tiere. Wer nach ausgiebiger Betrachtung der Schreckensbilder immer noch vermutet, das Anliegen der Urheber sei, Analogien zwischen der rationalisierten Gefangenhaltung von Menschen in den Todeslagern und von Tieren in den Fleischfabriken aufzuzeigen, wird durch den Begleittext der „Masskilling"-Internetseite (1) endgültig eines anderen belehrt. Es geht um weit mehr, als deutlich zu machen, dass die Abläufe von Massentötungen in der industrialisierten Moderne stets denselben methodischen Charakter haben. Das belegt ein Zitat des österreichischen Tierrechtlers Helmut Kaplan am Ende der Fotoserie: „Unsere Enkel werden uns eines Tages fragen: 'Wo wart Ihr, während des Holocaust der Tiere? Was habt Ihr gegen diese entsetzlichen Verbrechen getan?' Die Entschuldigung, dass wir es nicht gewusst hätten, können wir kein zweites Mal vorbringen.“ (2)
Der „Leichenschmaus“-Autor gilt, zumindest im deutschen Sprachraum, als einer der offensivsten Verfechter des so genannten KZ-Vergleichs. Um zu erkennen, dass die Grausamkeiten, die Tieren angetan würden, so Kaplan in seinem Beitrag „Tiere und Juden oder die Kunst der Verdrängung“, „exakt dem Holocaust der Nazis entsprechen“, bräuchte man „nur Berichte über Menschenversuche in KZs und Berichte über heutige Tierversuche anzuschauen. Dann fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Die Parallelen sind lückenlos, die Berichte sind austauschbar. Alles, was die Nazis den Juden angetan haben, praktizieren wir heute mit Tieren!“ (3)
Ebenso wie Helmut Kaplan hält auch PETA eine fundierte historische Begründung für die Gleichsetzung des alltäglichen Abschlachtens unzähliger Tiere für den menschlichen Konsum mit dem Völkermord, der während des Zweiten Weltkrieges von deutschen Tätern verübt worden war, offenbar für überflüssig. Das Verstehen tritt zu Gunsten des Sehens in den Hintergrund. Außer Horror-Bildern bietet die PETA-Website nicht viel mehr als einige sloganhaft dargebotene Zitate aus dem umfangreichen Werk des amerikanischen Literatur-Nobelpreisträgers Isaac Bashevis Singer, Auszügen aus Charles Pattersons „Eternal Treblinka“ und jeder Menge Briefe von jüdischen Unterstützern der Kampagne, unter ihnen viele Holocaust-Überlebende.
Wenn es darum geht, die Gleichsetzung von Auschwitz (4) und Tiermord, wie sie von PETA und Kaplan betrieben wird, kritisch zu reflektieren, dann können Methode und Gegenstand, Form und Inhalt nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Das Problem ist bereits in der reduktionistischen Vorgehensweise angelegt, für den Vergleich ausschließlich die Phänomene des Holocaust und der Massenschlachtung von Tieren zu berücksichtigen, ihr Wesen jedoch außer Acht zu lassen.
Hätten die Befürworter der Gleichsetzung die Frage „Was war Auschwitz?" als epistemologisches Problem behandelt, den Völkermord, der vorwiegend von Deutschen verübt wurde, nicht aus dem historischen und topographischen Kontext gerissen, nicht entpolitisiert und nicht als rein ethische Misere diagnostiziert, dann wäre ihnen vielleicht die nahezu unmögliche Fassbarkeit und Komplexität des Gegenstands bewusst geworden. Sie hätten sicher festgestellt, dass ihm ohne umfangreiche Exkurse in die Geschichte des Antisemitismus, des Kapitalismus, der Moderne nicht angemessen begegnet werden kann. Die über alle Maße des Erträglichen strapazierten Bildervergleichs-, „Große Geister“- und Kronzeugenzitatpraxis von PETA und Kaplan (5) macht deutlich: Die Problematik des so genannten KZ-Vergleichs ist nicht nur eine des Was, sondern auch eine des Wie.
Da aber die Gleichsetzung nahezu ausschließlich Ergebnis von Vergleichen der Phänomene des Grauens ist, blieb vor allem die Frage nach den Funktionen von Todeslagern und Schlachthäusern unberücksichtigt: Auschwitz war eine Todesfabrik. Sie hatte den Zweck, Tote zu produzieren. In den Lagern, die die Nationalsozialisten in Polen errichtet hatten, sollte die Auslöschung der Juden und ihrer Identität vollzogen werden. Die zentrale Maßnahme zur Erreichung des Ziels - die Juden samt ihrer Kultur im Abgrund der Geschichte verschwinden zu lassen, als hätte es sie nie gegeben - war die physische Vernichtung der „jüdischen Rasse“, die von den Nazis, wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ diagnostizierten, nicht als Minorität, sondern als „Gegenrasse“ und „Kolonisatoren des Fortschritts“ begriffen worden war. (6)
Der Zweck der Schlachthöfe und Tierfabriken dagegen ist nicht die Eliminierung eines erklärten Feindes, sondern aus Leibern von - während der gesamten Kulturgeschichte des Menschen - brutal unterdrückten Tieren Fleisch für den Konsum zu produzieren, vor allem aber Mehrwert für den Profit des Unternehmers zu erwirtschaften. Obwohl sich die Ideologie des Kapitalismus im Fleisch quasi materialisiert - die Schlachthöfe von Chicago, so schrieb der US-amerikanische Schriftsteller Upton Sinclair 1906 in seinem naturalistischen Roman „The Jungle“, „sind die „Fleischwerdung des Geistes des Kapitalismus“ -, ist das ökonomische Movens der Tierausbeutung in der Industriegesellschaft ein Aspekt, den PETA und Kaplan größtenteils ausblenden.
Das Töten und die Fleischgewinnung wurde bereits im Frühkapitalismus als durchkalkulierter parzellierter Fabrikationsvorgang organisiert. Die Umwandlung der Schlachthäuser in perfekte Tötungs- und Fleischproduktionsfabriken begann Mitte des 19. Jahrhunderts, als sie aus den Innenstädten an die Stadtränder verlegt wurden. Der Schlachthof sollte bald zum Inbegriff, zum Symbol des institutionalisierten Tötens, der Degradierung quälbarer Körper zu Dingen werden. Die Schlachthäuser waren insofern Vorläuferinstitutionen der Todeslager, dass ihre perfektionierte Tötungsmaschinerie als „Prototyp“ fungierte, den nationalsozialistischen Mörderbanden das „Know-How“ für die millionenfache Menschenvernichtung lieferte. Dennoch stehen Tiertötungsfabriken und Auschwitz nicht in kausalem Zusammenhang. Aus der Tatsache, dass die Tiertötung technisch optimiert und institutionalisiert wurde, folgte nicht zwingend, dass rund einhundert Jahre später die Todesfabriken errichtet wurden. Die „Fließbandschlachtung von Tieren“ führte nicht unweigerlich zur „Fließbandschlachtung von Menschen“, wie Helmut Kaplan behauptet, und Bruno Bruckners Anstellung als Portier in einem Linzer Schlachthaus auch nicht dazu, dass er später im Tötungszentrum Hartheim arbeitete. (7)
Die phänomenale Ähnlichkeit zwischen Vernichtungslagern und Schlachthöfen ist der Tatsache geschuldet, dass beide - das dokumentiert das „Fotoalbum“ der Moderne in der Tat - „Institutionen“ sind, die im Zuge bzw. nach der Industrialisierung entstanden waren, mit der eine Versachlichung und Entemotionalisierung des massenhaften Tötens einhergegangen ist, wie Enzo Traverso in seinem Aufsatz „Auschwitz. Die Moderne und die Barbarei“ eindringlich darlegt. (8)
Die Singularität von Auschwitz besteht in dem unfassbaren Ausmaß einer bürokratisch geplanten und durchorganisierten Massenvernichtung von Menschen; darin, dass Menschen erstmals durch Menschenhand zu administrativ verwalteten Exemplaren gemacht wurden. Theodor W. Adorno schrieb in „Negative Dialektik“: „Dass in den Lagern nicht mehr das Individuum starb, sondern das Exemplar, muss das Sterben auch derer affizieren, die der Maßnahme entgingen. Der Völkermord ist die absolute Integration, die überall sich vorbereitet, wo Menschen gleichgemacht werden, geschliffen, wie man bei Militär es nannte, bis man sie, Abweichungen vom Begriff ihrer vollkommenen Nichtigkeit, buchstäblich austilgt.“ (9) Der Holocaust wird im Vergleich mit allen anderen Verbrechen, die bisher von Menschen an Menschen begangen wurden, aber auch als einzigartig rezipiert, weil es sich bei dem historischen Ereignis, wie der israelische Historiker Moshe Zuckermann es ausdrückt, „nicht um einen 'Betriebsunfall’, vielmehr um den Kulminationspunkt einer sehr viel länger zurückreichenden zivilisatorischen Entwicklung handelt, die sich zudem im Kulturraum einer sich der Aufklärung des Fortschritts, ja einer welthistorisch vorangetriebenen menschlichen Emanzipation rühmenden Moderne zugetragen hat.“ (10)
Von einer Singularität des Holocaust zu reden, bedeutet übrigens nicht, wie Helmut Kaplan fälschlich in seinem „Wahrheitsverachtend!“-Aufsatz annimmt, die Wiederholbarkeit der Menschheitskatastrophe auszuschließen. (11) Vor allem von Vertretern der Frankfurter Schule wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass Auschwitz ein Rückfall in die Barbarei war, „und Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigen, wesentlich fortdauern.“ (12)
Die Unterdrückung, die Ausbeutung und massenhafte Tötung von Tieren ist kein Holocaust, ist kein Vernichtungsakt. Die Herrschaft des Menschen über die Tiere ist kein zeitlich begrenztes historisches Ereignis, sondern ein Wesensbestandteil der gesamten Zivilisationsgeschichte. Selbstverständlich steht die Erniedrigung und Entindividualisierung des Menschen mit der der Tiere in Beziehung, nicht zuletzt deshalb, weil beide Produkte einer und derselben in vielerlei Hinsicht gescheiterten Aufklärung sind. Die Kritischen Theoretiker Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, die einen nichtspeziesistischen Ansatz vertraten, begriffen die Verdinglichung von Mensch und Tier, von empfindungsfähigen Lebewesen als Strukturmerkmal der Gesellschaft im Stande der Unfreiheit und Begleiterscheinung der doppelten Naturbeherrschung, der Beherrschung der inneren und äußeren Natur. Die Geschichte der Anstrengungen des Menschen, die Natur zu unterjochen, sei auch die Geschichte der Unterjochung des Menschen durch den Menschen. Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, in dem Natur gebrochen wird, führe nur um so tiefer in den Naturzwang hinein.
Das Herrschaftsverhältnis Mensch-Tier-Natur ist äußerst komplex. Ihm ist nicht mit oberflächlichen Vergleichen von Phänomenen und provokativen Gleichsetzungen beizukommen. Es bedarf ausführlicher (wissenschaftlicher) Analysen und einer umfangreichen dezidierten Herrschaftskritik.
Es gibt keinerlei Hinweise, dass PETA die Gleichsetzung aus antisemitischen Beweggründen vorgenommen haben. Ihnen „rechtsradikale“ Beweggründe zu unterstellen, wie beispielsweise Jutta Ditfurth (13) es kürzlich getan hat, ist ebenso billige Effekthascherei wie grober und gefährlicher Unfug, da hier wieder durch eine falsche Gleichsetzung die Gefahr, die u.a. von (militanten) Neonazis ausgeht, verharmlost wird. Es ist auch absurd, einer US-amerikanischen Tierrechtsorganisation, die viele jüdische Mitglieder und Unterstützer hat, die Absicht zu unterstellen, Geschichtsrevisionismus betreiben und den Völkermord banalisieren zu wollen, um die deutschen Täter zu entlasten. Dass PETA - wenn auch unbeabsichtigt - mit einer unreflektierten in das Täterland Deutschland hineingetragenen Universalisierung und Inflationierung der Shoah, dazu beitragen, Holocaust-Relativierern den Weg zu ebnen, steht auf einem anderen Blatt.
Die Kampagne ist insofern dazu geeignet, die größte Menschheitskatastrophe ihrer Singularität zu berauben, dass sie eine Trivialisierung des Holocaust darstellt, die vor allem Resultat der reklamehaften und lässigen Präsentation des „KZ-Vergleichs“ ist. Wie schon der Benneton-Konzern in den neunziger Jahren operiert auch PETA offenbar nach dem Marketing-Prinzip: Erlaubt ist alles, was Aufmerksamkeit erregt, schockiert und Publicity bringt. Auf historische „Feinheiten“ wird keine Rücksicht genommen.
So plauderte PETA-Chef Harald Ullmann unlängst in Köln während einer Diskussionsveranstaltung zum „KZ-Vergleich“ munter drauf los: „Die Opfer sind ausgetauscht worden. Früher waren es die Juden, fahrendes Volk und heute sind es Tiere.“ (14) Der Leser möge selbst entscheiden, ob es sich bei derartigen Aussagen der Tierrechtsorganisation um vorsätzliche Geschichtsfälschung handelt oder um eine gehörige Portion Unbedarftheit oder gar Ignoranz, die möglicherweise der Tatsache geschuldet ist, dass PETA es seit jeher vorziehen, statt kompetente Kritiker des repressiven Mensch-Tierverhältnisses aus dem Bereichen Wissenschaft und Kunst lieber so genannte Promis und Teenager-Stars als normative Instanzen oder „Sachverständige“ für Tierrechtsfragen heranzuziehen. Der „feine“ Unterschied zwischen Theodor W. Adorno und Pamela Anderson kommt spätestens dann erbarmungslos zum Vorschein, wenn die PETA-Populisten sich an das monströse historische Ereignis Auschwitz heranwagen.
Wie oberflächlich, unwissenschaftlich und vor allem wie unseriös PETA zu Werke gehen, indiziert auch die Verwendung eines angeblichen Zitats von Theodor W. Adorno, das die amerikanische Organisation, in englischer Übersetzung, als Aufmacher ihrer „Masskilling“-Seite benutzt: „Auschwitz fängt da an, wo einer im Schlachthaus steht und denkt: 'es sind ja nur Tiere’.“ (15) Nach dem derzeitigen Forschungsstand gilt das „Adorno-Zitat“ als Fälschung , und kein einziger der eifrigen Benutzer sah sich bisher in der Lage, die Quelle zu nennen. PETA-Chef Harald Ullmann nimmt’s gelassen: Es sei schließlich bisher niemanden gelungen zu widerlegen, dass der Frankfurter Philosoph das gesagt habe, wehrte er die Kritik an der unsauberen Arbeitsweise (16) seiner Organisation ab. Einmal abgesehen von dem Mangel an Sensibilität gegenüber dem Werk des 1969 verstorbenen Mitbegründers der Kritischen Theorie, schwingt in PETAs Darlegung ihrer Argumente eine provozierende Lässigkeit gegenüber historiographischen Fakten mit, die symptomatisch für die gesamte „Holocaust-auf-Ihrem-Teller“-Kampagne ist.
So sehr die Organisation einerseits auf den „KZ-Vergleich“ beharrt, unterwirft sie die Frage, wie denn die industrialisierte Tiertötung zu benennen sei, andererseits einer gewissen Beliebigkeit. So ist auf der „Massvernichtung“-Seite, als Erwiderung einer Kritik von dem Schriftsteller und Friedens-Nobelpreisträger Elie Wiesel (er hatte PETA aufgefordert, auf den Begriff Holocaust zu verzichten; es solle stattdessen von Tiertötung gesprochen werden) zu lesen: „Die Tiere bedürfen unserer Unterstützung ungeachtet der Semantik. Diese Ausstellung ist keine Übung in literarischen Kritizismus. [...] Wenn 'Fleisch Mord ist’, aber kein Holocaust, sollte dann Mord alleine nicht ausreichen, um uns laut aufschreien zu lassen?“
Das Wesen der Shoah sowie der jahrtausendelang währenden Barbarei, die Menschen Tieren antun, darf nicht beliebigen, willkürlichen Interpretation oder dem persönlichen Geschmack unterliegen. Die Benennung von Phänomenen, Ereignissen etc., die Nomenklatur kann ideologisch werden, wenn sie sich derart verselbstständigt, wie Moshe Zuckermann in seinem Aufsatz „Holokaust“ darlegt, dass „Geschichte, Welt und Wirklichkeit, wenn schon nicht ganz ignoriert, so doch in die Zweitrangigkeit des Epiphänomens verwiesen werden.“ Nomenklatur verkomme immer dann zur Ideologie, „wenn etwas am Benannten heteronom seinem Begriff entschlagen wird bzw. wenn der Nennungsbegriff das Bekannte für heteronome Interessen dahingehend zurichtet, dass die Wahrnehmung des Benannten wesenhaft affiziert, der Gegenstand der Wahrnehmung mithin regelrecht unkenntlich gemacht wird.“ (17)
Die Verhüllung oder Verstümmelung des Wesens des Holocaust - durch falsche Benennung oder/und durch oberflächliche (Bilder-)Vergleiche - haben schon „Blüten“ hervorgebracht wie den Auschwitz-Dresden-Vergleich, der die verheerenden Bombenangriffe auf das Täterland im Rahmen von Kriegshandlungen mit der systematischen Massenvernichtung von Millionen von jüdischen Opfern gleichsetzt und damit eine Entsorgung der von Deutschen kollektiv begangenen Verbrechen intendiert.
PETA hat die größte Menschheitskatastrophe einfach aus ihrem historischen Kontext gerissen und als Aufhänger, als „eye-catcher“, als Vehikel für eine Werbekampagne benutzt. Eine flankierende Maßnahme des Internet-Auftritts ist eine Plakataktion mit Bildern aus den Tierfabriken und den Todeslagern - von PETA euphemistisch „Ausstellung“ genannt -, die durch amerikanische und europäische Metropolen tourt. Die meisten Fotos der Shoah stammen aus dem United States Holocaust Memorial Museum in Washington DC, dessen Leitung seine Nutzungsgenehmigung zurückgezogen hat, nachdem sie erfahren hatte, wie und zu welchem Zweck PETA die Bilder verwenden will. Wer die Bilder der Vernichtungslager aus den Dokumentationsräumen der Museen holt, wer ihre Mission - eine umfangreiche Aufklärung über die Ursachen, den Verlauf, über die Täter und Opfer des Holocaust - verzerrt, und wer sie durch skandalisierendes Zur-Schau-Stellen profaniert und damit die Gedenkkultur und die Trauerarbeit der überlebenden Opfer „beraubt“, muss sich letztlich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, den Holocaust heteronom instrumentalisiert zu haben.
Auschwitz liegt nicht am Strand von Malibu und auch nicht auf unseren Tellern. Es war eine deutsche Todesfabrik, die von deutschen Mörderbanden auf polnischem Boden errichtet worden war.
PETA haben den Holocaust und den millionenfachen Tiermord kulturindustriell aufbereitet und eine Entwicklung gefördert, die das Entsetzliche zur standardisierten Ware verdinglicht. Die Shoah wird, zumindest optisch, eingereiht in die Produktpalette: In den Städten sind überdimensionale Fotos von Leichenbergen in der Nähe von Reklametafeln für Almette-Frischkäse, Carefree-Tampons und Diet-Coke zu sehen - letztlich erweist sich PETAs Werbefeldzug als ein trauriges Fallbeispiel für die integrative Kraft des fortgeschrittenen Kapitalismus. Wer das Grauen des Holocaust „bestellt“, bekommt garantiert das Produkt PETA geliefert und einfache Lösungsansätze gegen Tausende von Jahren währende Gewaltherrschaft des Menschen über die Allerwehrlosesten gleich dazu. Das Mindeste, was der Konsument laut PETA tun könne, um den „Holocaust der Tiere zu beenden“, sei, eine vegetarische Lebensweise zu übernehmen. Eine Telefonnummer, unter der ein kostenloser „vegetarian starter kit“ bestellt werden kann, ist selbstverständlich auch dabei. Nach einer Erklärung dafür, wie die Tierrechtsorganisation den Spagat fertig bringt, sich mit der Tiermordindustrie, beispielsweise dem Burger King-Konzern, der den „Holocaust“ an den Tieren verübt - um es mit PETAs Worten zu sagen -, an den runden Tisch zu setzen und nach tierschützerischen Gesichtspunkten über bessere Haftbedingen für die Opfer zu verhandeln, also mit den „Nazis“ zu kooperieren, sucht man auf der „Massenvernichtung“-Seite vergeblich.

 

(1) Neben der amerikanischen Internetseite (www.masskilling.com) gibt es seit 16. März auch eine deutsche Version (www.Massenvernichtung.info), die an einigen Stellen vom Original abweicht.
(2) Übersetzung: S.W.S.
(3) www.tierrechte-kaplan.org/kompendium/a170.htm
(4) Auschwitz wird hier als pars pro toto des Holocaust verwendet.
(5) Es ist schon bemerkenswert, dass Kaplans siebenseitiges Plädoyer für den so genannten KZ-Vergleich „Wahrheitsverachtend! Die Kritik an PETAs Holocaust-Vergleich ist gefährlicher Unsinn“ zu mehr als 50 Prozent aus einer Aneinanderreihung „berühmter“ Standardzitate der „großen Geister“ - wie der Autor sie nennt - Leonardo da Vinci, Leo Tolstoi etc. besteht (vgl. www.tierrechte-kaplan.org/kompendium/a254.htm). Inwiefern beispielsweise Albert Einsteins Behauptung „Nichts wird...die Chancen für ein Überleben auf der Erde so steigern, wie der Schritt zu einer vegetarischen Ernährung“ ein schlagendes Argument für die Gleichsetzung von Tierschlachtung und Treblinka ist, verrät der Autor den Lesern jedoch nicht.
In seinem „Tiere und Juden“-Aufsatz mahnt Helmut Kaplan, der Vergleich werde schließlich nicht nur von „irgendwelchen irrationalen oder demagogischen Spinnern“ verwendet, sondern von Juden. „Gerade diejenigen, die das Grauen der Konzentrationslager aus eigener Erfahrung kennen, haben immer wieder auf die fundamentale Gleichartigkeit von Menschen- und Tier-KZs verwiesen,“ gibt Helmut Kaplan zu bedenken und hängt, zur Untermauerung seiner These, eine „Einsicht“ (als sei Auschwitz eine Erziehungsanstalt gewesen), ein Zitat, von Isaac B. Singer an (www.tierrechte-kaplan.org/kompendium/a170.htm). Der Schriftsteller Isaac B. Singer hat Europa 1935 verlassen und ist in die USA eingewandert; er ist zu keiner Zeit Häftling in einem Konzentrationslager gewesen.
(6) Vgl. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno – Dialektik der Aufklärung. Frankfurt a.M. 1992, S. 177ff.
(7) Vgl. www.tierrechte-kaplan.org/kompendium/a254.htm
(8) Vgl. Enzo Traverso – Auschwitz. Die Moderne und die Barbarei. In: Sozialistische Zeitung Nr. 25 vom 7. Dezember 2000, S. 7 ff.
(9) Theodor W. Adorno – Negative Dialektik. Frankfurt a.M. 1975, S. 355.
(10) Moshe Zuckermann – Gedenken und Kulturindustrie. Ein Essay zur neuen deutschen Normalität. Berlin u. Bodenheim b. Mainz 1999, S. 92
(11) Derartige Positionen wurden bisher ausschließlich von Historikern aus dem rechts-konservativem Lager vertreten, wie beispielsweise Ernst Nolte, der den Holocaust als epochales Phänomen, als einmaligen „Unfall“ interpretiert hat.
(12) Theodor W. Adorno – Erziehung nach Auschwitz. In: Ders., Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt a.M. 1971, S. 88
(13) Ditfurth vertritt - wie die Mehrheit der „KZ-Vergleich“-Kritiker - eine spezieschauvinistische Position. Wie sie in der ARD-Sendung Polylux (v. 12. Januar 2004) darlegte, gilt ihre Kritik nicht der Enthistorisierung und Verkennung bzw. Verstümmelung des Wesens der Shoah, sondern als Befürworterin von Tierschlachtung und Fleischkonsum stört sie sich daran, dass menschliches und tierliches Leid miteinander verglichen werden.
(14) PETA-Chef Harald Ullmann während der Diskussionsveranstaltung zum so genannten KZ-Vergleich am 4. März 2004 in Köln
(15) Es ist anzunehmen, dass der Urheber es dem Aphorismus „Menschen sehen dich an“ aus Minima Moralia entlehnt hat, in dem Adorno die Verdinglichung des Menschen in der „repressiven Gesellschaft“ anklagt, die durch „pathische Projektionen“ vollzogen werde. Dieser Akt der Entmenschlichung enthalte „bereits den Schlüssel zum Pogrom“. In diesem Aphorismus ist zwar nicht von Schlachthäusern die Rede, aber es taucht zumindest ein - dem erfundenen Zitat - ähnlich lautendes Zitatteil („es ist ja bloß ein Tier“) auf.
(16) Um nicht zu sagen, fahrlässige Umgehung essenzieller Spielregeln universell gültiger Zitierpraxis, deren Einhaltung schließlich Grundvoraussetzung für eine glaubwürdige Öffentlichkeitsarbeit ist.
(17) Der Aufsatz ist bisher unveröffentlicht. Er wird im nächsten Band des „Historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus“, Hg. V. Wolfgang Fritz Haug erscheinen.