Auschwitz liegt nicht am Strand von Malibu und auch
nicht auf unseren Tellern
Kritische Anmerkungen zum „KZ-Vergleich“
Von Susann Witt-Stahl
Ein Foto zeigt abgemagerte Kinder in Häftlingskleidung
hinter Stacheldraht, gleich daneben Ferkel eingesperrt auf engstem Raum. Unter
dem Titel „Wandelnde Skelette“ sieht man nackte Menschen mit aufgedunsenen
Hungerbäuchen neben einem unterernährten Kälbchen, das sich vor
Schwäche nur noch mühsam auf den Beinen halten kann. Dann ein Bild
von Häftlingen in den Lagerbaracken, aufgestapelt wie Ware, dicht an dicht
auf schmutzigen Pritschen, und rechts daneben die nicht enden wollenden Käfigreihen
der Legebatterien.
Die Aussage des schockierenden Bildvergleichs, der im Februar letzten Jahres
von der Tierrechtsorganisation PETA ins Internet gestellt wurde, ist eindeutig:
Das, was täglich in den Tierfabriken und Schlachthäusern stattfindet,
ist der Holocaust der Tiere. Wer nach ausgiebiger Betrachtung der Schreckensbilder
immer noch vermutet, das Anliegen der Urheber sei, Analogien zwischen der rationalisierten
Gefangenhaltung von Menschen in den Todeslagern und von Tieren in den Fleischfabriken
aufzuzeigen, wird durch den Begleittext der „Masskilling"-Internetseite
(1) endgültig eines anderen belehrt. Es geht um weit mehr,
als deutlich zu machen, dass die Abläufe von Massentötungen in der
industrialisierten Moderne stets denselben methodischen Charakter haben. Das
belegt ein Zitat des österreichischen Tierrechtlers Helmut Kaplan am Ende
der Fotoserie: „Unsere Enkel werden uns eines Tages fragen: 'Wo wart Ihr,
während des Holocaust der Tiere? Was habt Ihr gegen diese entsetzlichen
Verbrechen getan?' Die Entschuldigung, dass wir es nicht gewusst hätten,
können wir kein zweites Mal vorbringen.“ (2)
Der „Leichenschmaus“-Autor gilt, zumindest im deutschen Sprachraum,
als einer der offensivsten Verfechter des so genannten KZ-Vergleichs. Um zu
erkennen, dass die Grausamkeiten, die Tieren angetan würden, so Kaplan
in seinem Beitrag „Tiere und Juden oder die Kunst der Verdrängung“,
„exakt dem Holocaust der Nazis entsprechen“, bräuchte man „nur
Berichte über Menschenversuche in KZs und Berichte über heutige Tierversuche
anzuschauen. Dann fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Die Parallelen
sind lückenlos, die Berichte sind austauschbar. Alles, was die Nazis den
Juden angetan haben, praktizieren wir heute mit Tieren!“ (3)
Ebenso wie Helmut Kaplan hält auch PETA eine fundierte historische Begründung
für die Gleichsetzung des alltäglichen Abschlachtens unzähliger
Tiere für den menschlichen Konsum mit dem Völkermord, der während
des Zweiten Weltkrieges von deutschen Tätern verübt worden war, offenbar
für überflüssig. Das Verstehen tritt zu Gunsten des Sehens in
den Hintergrund. Außer Horror-Bildern bietet die PETA-Website nicht viel
mehr als einige sloganhaft dargebotene Zitate aus dem umfangreichen Werk des
amerikanischen Literatur-Nobelpreisträgers Isaac Bashevis Singer, Auszügen
aus Charles Pattersons „Eternal Treblinka“ und jeder Menge Briefe
von jüdischen Unterstützern der Kampagne, unter ihnen viele Holocaust-Überlebende.
Wenn es darum geht, die Gleichsetzung von Auschwitz (4) und
Tiermord, wie sie von PETA und Kaplan betrieben wird, kritisch zu reflektieren,
dann können Methode und Gegenstand, Form und Inhalt nicht losgelöst
voneinander betrachtet werden. Das Problem ist bereits in der reduktionistischen
Vorgehensweise angelegt, für den Vergleich ausschließlich die Phänomene
des Holocaust und der Massenschlachtung von Tieren zu berücksichtigen,
ihr Wesen jedoch außer Acht zu lassen.
Hätten die Befürworter der Gleichsetzung die Frage „Was war
Auschwitz?" als epistemologisches Problem behandelt, den Völkermord,
der vorwiegend von Deutschen verübt wurde, nicht aus dem historischen und
topographischen Kontext gerissen, nicht entpolitisiert und nicht als rein ethische
Misere diagnostiziert, dann wäre ihnen vielleicht die nahezu unmögliche
Fassbarkeit und Komplexität des Gegenstands bewusst geworden. Sie hätten
sicher festgestellt, dass ihm ohne umfangreiche Exkurse in die Geschichte des
Antisemitismus, des Kapitalismus, der Moderne nicht angemessen begegnet werden
kann. Die über alle Maße des Erträglichen strapazierten Bildervergleichs-,
„Große Geister“- und Kronzeugenzitatpraxis von PETA und Kaplan
(5) macht deutlich: Die Problematik des so genannten KZ-Vergleichs
ist nicht nur eine des Was, sondern auch eine des Wie.
Da aber die Gleichsetzung nahezu ausschließlich Ergebnis von Vergleichen
der Phänomene des Grauens ist, blieb vor allem die Frage nach den Funktionen
von Todeslagern und Schlachthäusern unberücksichtigt: Auschwitz war
eine Todesfabrik. Sie hatte den Zweck, Tote zu produzieren. In den Lagern, die
die Nationalsozialisten in Polen errichtet hatten, sollte die Auslöschung
der Juden und ihrer Identität vollzogen werden. Die zentrale Maßnahme
zur Erreichung des Ziels - die Juden samt ihrer Kultur im Abgrund der Geschichte
verschwinden zu lassen, als hätte es sie nie gegeben - war die physische
Vernichtung der „jüdischen Rasse“, die von den Nazis, wie Max
Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrer „Dialektik der Aufklärung“
diagnostizierten, nicht als Minorität, sondern als „Gegenrasse“
und „Kolonisatoren des Fortschritts“ begriffen worden war. (6)
Der Zweck der Schlachthöfe und Tierfabriken dagegen ist nicht die Eliminierung
eines erklärten Feindes, sondern aus Leibern von - während der gesamten
Kulturgeschichte des Menschen - brutal unterdrückten Tieren Fleisch für
den Konsum zu produzieren, vor allem aber Mehrwert für den Profit des Unternehmers
zu erwirtschaften. Obwohl sich die Ideologie des Kapitalismus im Fleisch quasi
materialisiert - die Schlachthöfe von Chicago, so schrieb der US-amerikanische
Schriftsteller Upton Sinclair 1906 in seinem naturalistischen Roman „The
Jungle“, „sind die „Fleischwerdung des Geistes des Kapitalismus“
-, ist das ökonomische Movens der Tierausbeutung in der Industriegesellschaft
ein Aspekt, den PETA und Kaplan größtenteils ausblenden.
Das Töten und die Fleischgewinnung wurde bereits im Frühkapitalismus
als durchkalkulierter parzellierter Fabrikationsvorgang organisiert. Die Umwandlung
der Schlachthäuser in perfekte Tötungs- und Fleischproduktionsfabriken
begann Mitte des 19. Jahrhunderts, als sie aus den Innenstädten an die
Stadtränder verlegt wurden. Der Schlachthof sollte bald zum Inbegriff,
zum Symbol des institutionalisierten Tötens, der Degradierung quälbarer
Körper zu Dingen werden. Die Schlachthäuser waren insofern Vorläuferinstitutionen
der Todeslager, dass ihre perfektionierte Tötungsmaschinerie als „Prototyp“
fungierte, den nationalsozialistischen Mörderbanden das „Know-How“
für die millionenfache Menschenvernichtung lieferte. Dennoch stehen Tiertötungsfabriken
und Auschwitz nicht in kausalem Zusammenhang. Aus der Tatsache, dass die Tiertötung
technisch optimiert und institutionalisiert wurde, folgte nicht zwingend, dass
rund einhundert Jahre später die Todesfabriken errichtet wurden. Die „Fließbandschlachtung
von Tieren“ führte nicht unweigerlich zur „Fließbandschlachtung
von Menschen“, wie Helmut Kaplan behauptet, und Bruno Bruckners Anstellung
als Portier in einem Linzer Schlachthaus auch nicht dazu, dass er später
im Tötungszentrum Hartheim arbeitete. (7)
Die phänomenale Ähnlichkeit zwischen Vernichtungslagern und Schlachthöfen
ist der Tatsache geschuldet, dass beide - das dokumentiert das „Fotoalbum“
der Moderne in der Tat - „Institutionen“ sind, die im Zuge bzw.
nach der Industrialisierung entstanden waren, mit der eine Versachlichung und
Entemotionalisierung des massenhaften Tötens einhergegangen ist, wie Enzo
Traverso in seinem Aufsatz „Auschwitz. Die Moderne und die Barbarei“
eindringlich darlegt. (8)
Die Singularität von Auschwitz besteht in dem unfassbaren Ausmaß
einer bürokratisch geplanten und durchorganisierten Massenvernichtung von
Menschen; darin, dass Menschen erstmals durch Menschenhand zu administrativ
verwalteten Exemplaren gemacht wurden. Theodor W. Adorno schrieb in „Negative
Dialektik“: „Dass in den Lagern nicht mehr das Individuum starb,
sondern das Exemplar, muss das Sterben auch derer affizieren, die der Maßnahme
entgingen. Der Völkermord ist die absolute Integration, die überall
sich vorbereitet, wo Menschen gleichgemacht werden, geschliffen, wie man bei
Militär es nannte, bis man sie, Abweichungen vom Begriff ihrer vollkommenen
Nichtigkeit, buchstäblich austilgt.“ (9) Der Holocaust
wird im Vergleich mit allen anderen Verbrechen, die bisher von Menschen
an Menschen begangen wurden, aber auch als einzigartig rezipiert, weil es sich
bei dem historischen Ereignis, wie der israelische Historiker Moshe Zuckermann
es ausdrückt, „nicht um einen 'Betriebsunfall’, vielmehr um
den Kulminationspunkt einer sehr viel länger zurückreichenden zivilisatorischen
Entwicklung handelt, die sich zudem im Kulturraum einer sich der Aufklärung
des Fortschritts, ja einer welthistorisch vorangetriebenen menschlichen Emanzipation
rühmenden Moderne zugetragen hat.“ (10)
Von einer Singularität des Holocaust zu reden, bedeutet übrigens nicht,
wie Helmut Kaplan fälschlich in seinem „Wahrheitsverachtend!“-Aufsatz
annimmt, die Wiederholbarkeit der Menschheitskatastrophe auszuschließen.
(11) Vor allem von Vertretern der Frankfurter Schule wurde
immer wieder darauf hingewiesen, dass Auschwitz ein Rückfall in die Barbarei
war, „und Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall
zeitigen, wesentlich fortdauern.“ (12)
Die Unterdrückung, die Ausbeutung und massenhafte Tötung von Tieren
ist kein Holocaust, ist kein Vernichtungsakt. Die Herrschaft des Menschen über
die Tiere ist kein zeitlich begrenztes historisches Ereignis, sondern ein Wesensbestandteil
der gesamten Zivilisationsgeschichte. Selbstverständlich steht die Erniedrigung
und Entindividualisierung des Menschen mit der der Tiere in Beziehung, nicht
zuletzt deshalb, weil beide Produkte einer und derselben in vielerlei Hinsicht
gescheiterten Aufklärung sind. Die Kritischen Theoretiker Theodor W. Adorno
und Max Horkheimer, die einen nichtspeziesistischen Ansatz vertraten, begriffen
die Verdinglichung von Mensch und Tier, von empfindungsfähigen Lebewesen
als Strukturmerkmal der Gesellschaft im Stande der Unfreiheit und Begleiterscheinung
der doppelten Naturbeherrschung, der Beherrschung der inneren und äußeren
Natur. Die Geschichte der Anstrengungen des Menschen, die Natur zu unterjochen,
sei auch die Geschichte der Unterjochung des Menschen durch den Menschen. Jeder
Versuch, den Naturzwang zu brechen, in dem Natur gebrochen wird, führe
nur um so tiefer in den Naturzwang hinein.
Das Herrschaftsverhältnis Mensch-Tier-Natur ist äußerst komplex.
Ihm ist nicht mit oberflächlichen Vergleichen von Phänomenen und provokativen
Gleichsetzungen beizukommen. Es bedarf ausführlicher (wissenschaftlicher)
Analysen und einer umfangreichen dezidierten Herrschaftskritik.
Es gibt keinerlei Hinweise, dass PETA die Gleichsetzung aus antisemitischen
Beweggründen vorgenommen haben. Ihnen „rechtsradikale“ Beweggründe
zu unterstellen, wie beispielsweise Jutta Ditfurth (13) es
kürzlich getan hat, ist ebenso billige Effekthascherei wie grober und gefährlicher
Unfug, da hier wieder durch eine falsche Gleichsetzung die Gefahr, die u.a.
von (militanten) Neonazis ausgeht, verharmlost wird. Es ist auch absurd, einer
US-amerikanischen Tierrechtsorganisation, die viele jüdische Mitglieder
und Unterstützer hat, die Absicht zu unterstellen, Geschichtsrevisionismus
betreiben und den Völkermord banalisieren zu wollen, um die deutschen Täter
zu entlasten. Dass PETA - wenn auch unbeabsichtigt - mit einer unreflektierten
in das Täterland Deutschland hineingetragenen Universalisierung und Inflationierung
der Shoah, dazu beitragen, Holocaust-Relativierern den Weg zu ebnen, steht auf
einem anderen Blatt.
Die Kampagne ist insofern dazu geeignet, die größte Menschheitskatastrophe
ihrer Singularität zu berauben, dass sie eine Trivialisierung des Holocaust
darstellt, die vor allem Resultat der reklamehaften und lässigen Präsentation
des „KZ-Vergleichs“ ist. Wie schon der Benneton-Konzern in den neunziger
Jahren operiert auch PETA offenbar nach dem Marketing-Prinzip: Erlaubt ist alles,
was Aufmerksamkeit erregt, schockiert und Publicity bringt. Auf historische
„Feinheiten“ wird keine Rücksicht genommen.
So plauderte PETA-Chef Harald Ullmann unlängst in Köln während
einer Diskussionsveranstaltung zum „KZ-Vergleich“ munter drauf los:
„Die Opfer sind ausgetauscht worden. Früher waren es die Juden, fahrendes
Volk und heute sind es Tiere.“ (14) Der Leser möge
selbst entscheiden, ob es sich bei derartigen Aussagen der Tierrechtsorganisation
um vorsätzliche Geschichtsfälschung handelt oder um eine gehörige
Portion Unbedarftheit oder gar Ignoranz, die möglicherweise der Tatsache
geschuldet ist, dass PETA es seit jeher vorziehen, statt kompetente Kritiker
des repressiven Mensch-Tierverhältnisses aus dem Bereichen Wissenschaft
und Kunst lieber so genannte Promis und Teenager-Stars als normative Instanzen
oder „Sachverständige“ für Tierrechtsfragen heranzuziehen.
Der „feine“ Unterschied zwischen Theodor W. Adorno und Pamela Anderson
kommt spätestens dann erbarmungslos zum Vorschein, wenn die PETA-Populisten
sich an das monströse historische Ereignis Auschwitz heranwagen.
Wie oberflächlich, unwissenschaftlich und vor allem wie unseriös PETA
zu Werke gehen, indiziert auch die Verwendung eines angeblichen Zitats von Theodor
W. Adorno, das die amerikanische Organisation, in englischer Übersetzung,
als Aufmacher ihrer „Masskilling“-Seite benutzt: „Auschwitz
fängt da an, wo einer im Schlachthaus steht und denkt: 'es sind ja nur
Tiere’.“ (15) Nach dem derzeitigen Forschungsstand
gilt das „Adorno-Zitat“ als Fälschung , und kein einziger der
eifrigen Benutzer sah sich bisher in der Lage, die Quelle zu nennen. PETA-Chef
Harald Ullmann nimmt’s gelassen: Es sei schließlich bisher niemanden
gelungen zu widerlegen, dass der Frankfurter Philosoph das gesagt habe, wehrte
er die Kritik an der unsauberen Arbeitsweise (16) seiner Organisation
ab. Einmal abgesehen von dem Mangel an Sensibilität gegenüber dem
Werk des 1969 verstorbenen Mitbegründers der Kritischen Theorie, schwingt
in PETAs Darlegung ihrer Argumente eine provozierende Lässigkeit gegenüber
historiographischen Fakten mit, die symptomatisch für die gesamte „Holocaust-auf-Ihrem-Teller“-Kampagne
ist.
So sehr die Organisation einerseits auf den „KZ-Vergleich“ beharrt,
unterwirft sie die Frage, wie denn die industrialisierte Tiertötung zu
benennen sei, andererseits einer gewissen Beliebigkeit. So ist auf der „Massvernichtung“-Seite,
als Erwiderung einer Kritik von dem Schriftsteller und Friedens-Nobelpreisträger
Elie Wiesel (er hatte PETA aufgefordert, auf den Begriff Holocaust zu verzichten;
es solle stattdessen von Tiertötung gesprochen werden) zu lesen: „Die
Tiere bedürfen unserer Unterstützung ungeachtet der Semantik. Diese
Ausstellung ist keine Übung in literarischen Kritizismus. [...] Wenn 'Fleisch
Mord ist’, aber kein Holocaust, sollte dann Mord alleine nicht ausreichen,
um uns laut aufschreien zu lassen?“
Das Wesen der Shoah sowie der jahrtausendelang währenden Barbarei, die
Menschen Tieren antun, darf nicht beliebigen, willkürlichen Interpretation
oder dem persönlichen Geschmack unterliegen. Die Benennung von Phänomenen,
Ereignissen etc., die Nomenklatur kann ideologisch werden, wenn sie sich derart
verselbstständigt, wie Moshe Zuckermann in seinem Aufsatz „Holokaust“
darlegt, dass „Geschichte, Welt und Wirklichkeit, wenn schon nicht ganz
ignoriert, so doch in die Zweitrangigkeit des Epiphänomens verwiesen werden.“
Nomenklatur verkomme immer dann zur Ideologie, „wenn etwas am Benannten
heteronom seinem Begriff entschlagen wird bzw. wenn der Nennungsbegriff das
Bekannte für heteronome Interessen dahingehend zurichtet, dass die Wahrnehmung
des Benannten wesenhaft affiziert, der Gegenstand der Wahrnehmung mithin regelrecht
unkenntlich gemacht wird.“ (17)
Die Verhüllung oder Verstümmelung des Wesens des Holocaust - durch
falsche Benennung oder/und durch oberflächliche (Bilder-)Vergleiche - haben
schon „Blüten“ hervorgebracht wie den Auschwitz-Dresden-Vergleich,
der die verheerenden Bombenangriffe auf das Täterland im Rahmen von Kriegshandlungen
mit der systematischen Massenvernichtung von Millionen von jüdischen Opfern
gleichsetzt und damit eine Entsorgung der von Deutschen kollektiv begangenen
Verbrechen intendiert.
PETA hat die größte Menschheitskatastrophe einfach aus ihrem historischen
Kontext gerissen und als Aufhänger, als „eye-catcher“, als
Vehikel für eine Werbekampagne benutzt. Eine flankierende Maßnahme
des Internet-Auftritts ist eine Plakataktion mit Bildern aus den Tierfabriken
und den Todeslagern - von PETA euphemistisch „Ausstellung“ genannt
-, die durch amerikanische und europäische Metropolen tourt. Die meisten
Fotos der Shoah stammen aus dem United States Holocaust Memorial Museum in Washington
DC, dessen Leitung seine Nutzungsgenehmigung zurückgezogen hat, nachdem
sie erfahren hatte, wie und zu welchem Zweck PETA die Bilder verwenden will.
Wer die Bilder der Vernichtungslager aus den Dokumentationsräumen der Museen
holt, wer ihre Mission - eine umfangreiche Aufklärung über die Ursachen,
den Verlauf, über die Täter und Opfer des Holocaust - verzerrt, und
wer sie durch skandalisierendes Zur-Schau-Stellen profaniert und damit die Gedenkkultur
und die Trauerarbeit der überlebenden Opfer „beraubt“, muss
sich letztlich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, den Holocaust heteronom instrumentalisiert
zu haben.
Auschwitz liegt nicht am Strand von Malibu und auch nicht auf unseren Tellern.
Es war eine deutsche Todesfabrik, die von deutschen Mörderbanden auf polnischem
Boden errichtet worden war.
PETA haben den Holocaust und den millionenfachen Tiermord kulturindustriell
aufbereitet und eine Entwicklung gefördert, die das Entsetzliche zur standardisierten
Ware verdinglicht. Die Shoah wird, zumindest optisch, eingereiht in die Produktpalette:
In den Städten sind überdimensionale Fotos von Leichenbergen in der
Nähe von Reklametafeln für Almette-Frischkäse, Carefree-Tampons
und Diet-Coke zu sehen - letztlich erweist sich PETAs Werbefeldzug als ein trauriges
Fallbeispiel für die integrative Kraft des fortgeschrittenen Kapitalismus.
Wer das Grauen des Holocaust „bestellt“, bekommt garantiert das
Produkt PETA geliefert und einfache Lösungsansätze gegen Tausende
von Jahren währende Gewaltherrschaft des Menschen über die Allerwehrlosesten
gleich dazu. Das Mindeste, was der Konsument laut PETA tun könne, um den
„Holocaust der Tiere zu beenden“, sei, eine vegetarische Lebensweise
zu übernehmen. Eine Telefonnummer, unter der ein kostenloser „vegetarian
starter kit“ bestellt werden kann, ist selbstverständlich auch dabei.
Nach einer Erklärung dafür, wie die Tierrechtsorganisation den Spagat
fertig bringt, sich mit der Tiermordindustrie, beispielsweise dem Burger King-Konzern,
der den „Holocaust“ an den Tieren verübt - um es mit PETAs
Worten zu sagen -, an den runden Tisch zu setzen und nach tierschützerischen
Gesichtspunkten über bessere Haftbedingen für die Opfer zu verhandeln,
also mit den „Nazis“ zu kooperieren, sucht man auf der „Massenvernichtung“-Seite
vergeblich.
(1) Neben der amerikanischen Internetseite
(www.masskilling.com) gibt es seit 16. März auch eine deutsche Version
(www.Massenvernichtung.info), die an einigen Stellen vom Original abweicht.
(2) Übersetzung: S.W.S.
(3) www.tierrechte-kaplan.org/kompendium/a170.htm
(4) Auschwitz wird hier als pars pro toto des Holocaust verwendet.
(5) Es ist schon bemerkenswert, dass Kaplans siebenseitiges
Plädoyer für den so genannten KZ-Vergleich „Wahrheitsverachtend!
Die Kritik an PETAs Holocaust-Vergleich ist gefährlicher Unsinn“
zu mehr als 50 Prozent aus einer Aneinanderreihung „berühmter“
Standardzitate der „großen Geister“ - wie der Autor sie nennt
- Leonardo da Vinci, Leo Tolstoi etc. besteht (vgl. www.tierrechte-kaplan.org/kompendium/a254.htm).
Inwiefern beispielsweise Albert Einsteins Behauptung „Nichts wird...die
Chancen für ein Überleben auf der Erde so steigern, wie der Schritt
zu einer vegetarischen Ernährung“ ein schlagendes Argument für
die Gleichsetzung von Tierschlachtung und Treblinka ist, verrät der Autor
den Lesern jedoch nicht.
In seinem „Tiere und Juden“-Aufsatz mahnt Helmut Kaplan, der Vergleich
werde schließlich nicht nur von „irgendwelchen irrationalen oder
demagogischen Spinnern“ verwendet, sondern von Juden. „Gerade diejenigen,
die das Grauen der Konzentrationslager aus eigener Erfahrung kennen, haben immer
wieder auf die fundamentale Gleichartigkeit von Menschen- und Tier-KZs verwiesen,“
gibt Helmut Kaplan zu bedenken und hängt, zur Untermauerung seiner These,
eine „Einsicht“ (als sei Auschwitz eine Erziehungsanstalt gewesen),
ein Zitat, von Isaac B. Singer an (www.tierrechte-kaplan.org/kompendium/a170.htm).
Der Schriftsteller Isaac B. Singer hat Europa 1935 verlassen und ist in die
USA eingewandert; er ist zu keiner Zeit Häftling in einem Konzentrationslager
gewesen.
(6) Vgl. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno – Dialektik
der Aufklärung. Frankfurt a.M. 1992, S. 177ff.
(7) Vgl. www.tierrechte-kaplan.org/kompendium/a254.htm
(8) Vgl. Enzo Traverso – Auschwitz. Die Moderne und die
Barbarei. In: Sozialistische Zeitung Nr. 25 vom 7. Dezember 2000, S. 7 ff.
(9) Theodor W. Adorno – Negative Dialektik. Frankfurt
a.M. 1975, S. 355.
(10) Moshe Zuckermann – Gedenken und Kulturindustrie.
Ein Essay zur neuen deutschen Normalität. Berlin u. Bodenheim b. Mainz
1999, S. 92
(11) Derartige Positionen wurden bisher ausschließlich
von Historikern aus dem rechts-konservativem Lager vertreten, wie beispielsweise
Ernst Nolte, der den Holocaust als epochales Phänomen, als einmaligen „Unfall“
interpretiert hat.
(12) Theodor W. Adorno – Erziehung nach Auschwitz. In:
Ders., Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt a.M. 1971, S. 88
(13) Ditfurth vertritt - wie die Mehrheit der „KZ-Vergleich“-Kritiker
- eine spezieschauvinistische Position. Wie sie in der ARD-Sendung Polylux (v.
12. Januar 2004) darlegte, gilt ihre Kritik nicht der Enthistorisierung und
Verkennung bzw. Verstümmelung des Wesens der Shoah, sondern als Befürworterin
von Tierschlachtung und Fleischkonsum stört sie sich daran, dass menschliches
und tierliches Leid miteinander verglichen werden.
(14) PETA-Chef Harald Ullmann während der Diskussionsveranstaltung
zum so genannten KZ-Vergleich am 4. März 2004 in Köln
(15) Es ist anzunehmen, dass der Urheber es dem Aphorismus
„Menschen sehen dich an“ aus Minima Moralia entlehnt hat, in dem
Adorno die Verdinglichung des Menschen in der „repressiven Gesellschaft“
anklagt, die durch „pathische Projektionen“ vollzogen werde. Dieser
Akt der Entmenschlichung enthalte „bereits den Schlüssel zum Pogrom“.
In diesem Aphorismus ist zwar nicht von Schlachthäusern die Rede, aber
es taucht zumindest ein - dem erfundenen Zitat - ähnlich lautendes Zitatteil
(„es ist ja bloß ein Tier“) auf.
(16) Um nicht zu sagen, fahrlässige Umgehung essenzieller
Spielregeln universell gültiger Zitierpraxis, deren Einhaltung schließlich
Grundvoraussetzung für eine glaubwürdige Öffentlichkeitsarbeit
ist.
(17) Der Aufsatz ist bisher unveröffentlicht. Er wird
im nächsten Band des „Historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus“,
Hg. V. Wolfgang Fritz Haug erscheinen.
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