PETAs Kampagne „Der Holocaust auf Ihrem Teller“ - Eine Kritik aus der Tierbefreiungsbewegung - Anfang März startet auch in Deutschland und Österreich die in den USA bereits angelaufene und stark umstrittene Kampagne „Der Holocaust auf Ihrem Teller” der Tierschutzorganisation PETA (People for the ethical treatment of animals). Auf Werbeplakaten und im Rahmen einer Wanderausstellung werden Fotografien von nationalsozialistischen Konzentrationslagern Abbildungen der Gefangenschaft und industriellen Tötung von Tieren gegenübergestellt, um die Unterdrückung tierlicher Individuen durch die menschliche Gesellschaft anzuprangern. Trotz vielfacher Proteste soll die Kampagne in unveränderter Weise auf Europa ausgeweitet werden. Auch in Deutschland brandete bereits eine erste Woge der Kritik durch die Medienlandschaft, die vor allem an der „menschenverachtenden Gleichsetzung von Mensch und Tier“ Anstoß nahm. Im folgenden entwickeln wir eine grundlegende Kritik der laufenden Kampagne und ähnlichen Diskussionen, die nicht auf tierverachtende und speziesistische Argumentationsmuster zurückgreift und aus einem generell herrschaftskritischen Ansatz dem enthistorisierenden Vergleich mit der Shoah widerspricht.
Die instrumentalisierende Besetzung eines kontroversen Themas war auch in der
Vergangenheit Strategie von PETA. So wurde beispielweise die Krebserkrankung
von New Yorks Bürgermeister Giuliani dafür verwandt, auf die Gefahren
des Milchkonsums hinzuweisen. Einige Berühmtheit erlangte in den neunziger
Jahren die Kampagne „Lieber nackt als im Pelz“, für die leicht
bekleidete Supermodels in großflächigen Anzeigen um die Sympathien
der Bevölkerung warben. Dass dabei die Reflexion über das eigentliche
Thema in den Hintergrund tritt, zeigt sich auch an der Durchführung der
aktuellen Kampagne, die auf Provokation, Skandalisierung sowie auf die Instrumentalisierung
des Holocaust setzt. DIE SINGULARITÄT DES HOLOCAUST Im antisemitischen Weltbild wird „den Juden“ eine große Macht zugesprochen. Sie werden als die im Hintergrund wirkenden entwurzelten Kräfte gesehen, die die Fäden der Weltgeschichte in der Hand halten. Sie stehen in dieser Ideologie sowohl hinter den kapitalistischen wie auch den sozialistischen Mächten, verkörpern also in beiden Varianten die unbegriffene abstrakte Seite der Moderne, die an ihrer Person konkret vernichtet werden soll. Deswegen ist die Ausrottung der Jüdinnen und Juden für den Antisemiten auch nicht Mittel zum Zweck, sondern Zweck an sich. Moishe Postone bemerkte in seinem Aufsatz „Nationalsozialismus und Antisemitismus“ dazu folgendes: Sie wurden nicht aus militärischen Gründen ausgerottet
oder um gewaltsam Land zu nehmen (wie bei den amerikanischen Indianern); es
ging auch nicht um die Auslöschung der potentiellen Widerstandskämpfer
unter den Juden, mit dem Ziel, den Rest als Heloten besser ausbeuten zu können.
(Dies war übrigens die Politik der Nazis Polen und Russen gegenüber.)
Es gab auch kein „äußeres“ Ziel. Die Ausrottung der Juden
musste nicht nur total sein, sondern war sich selbst Zweck - Ausrottung um der
Ausrottung willen -, ein Zweck, der absolute Priorität beanspruchte. Nur vor dem Hintergrund dieses antisemitischen Wahns ist zu erklären, warum die Nazis in den letzten Kriegsjahren einen Großteil des Schienenverkehrs für den Transport der Jüdinnen und Juden zu den Gaskammern benutzten und nicht für die logistische Unterstützung des Heeres, obwohl ihre Stellungen bereits von der Roten Armee überrollt wurden. Die antisemitische Ideologie ist historisch unter anderem als „antikapitalistische Revolte“ zu verstehen. Obwohl ihre Genese durch zahlreiche weitere Faktoren – religiöse und sozialpsychologische Motivationen, Aufkommen der Rassentheorien etc. – bedingt ist, werden wir uns in unserem Text auf die Analyse der verkürzten Kapitalismuskritik und der nazistischen Dämonisierung der abstrakten Sphäre des Kapitals beschränken, da diese für unsere Argumentation die zentralen Punkte sind. Im bereits oben erwähnten Aufsatz stellt Moishe Postone deren Bedeutung für die Erklärung der Shoah heraus: Eine kapitalistische Fabrik ist ein Ort, an dem Wert produziert
wird, der „unglücklicherweise” die Form der Produktion von
Gütern annehmen muss. Das Konkrete wird als der notwendige Träger
des Abstrakten produziert. Die Ausrottungslager waren demgegenüber keine
entsetzliche Version einer solchen Fabrik; sie müssen vielmehr als ihre
groteske arische „antikapitalistische” Negation angesehen werden.
Auschwitz war eine Fabrik zur „Vernichtung des Werts”, d.h. zur
Vernichtung der Personifizierungen des Abstrakten. Sie hatte die Organisation
eines quasi industriellen Prozesses mit dem Ziel, das Konkrete vom Abstrakten
zu „befreien”. Der erste Schritt dazu war die Entmenschlichung,
das heißt, dem jüdischen Bevölkerungsanteil die „Maske”
der Menschlichkeit „wegzureißen” und Juden als das zu „zeigen”,
was sie nach nazistisch-rassistischer Auffassung „wirklich sind”:
Schatten, Ziffern, Abstraktionen. Der zweite Schritt war das Ausrotten dieser
Abstraktheit, ihre „Verwandlung” zu Rauch ... Hier wird ein wesentlicher Unterschied zwischen der Vernichtung der Jüdinnen und Juden durch den Holocaust und der Ermordung von Tieren in den Schlachthöfen deutlich. Die Schlachthöfe funktionieren nach einem ökonomischen Prinzip. Die Hühner, Kühe, Schweine, etc. sollen nicht vernichtet werden, aus ihnen/durch sie soll Wert produziert werden. Ihre Tötung ist nicht Zweck an sich, sondern der Zweck ist die Produktion von Fleisch, die Produktion von „Nahrung“ für die Menschen. Doch nicht nur aufgrund des analytischen Unterschiedes und des faktisch falschen Vergleichs zwischen Shoah und Schlachthaus ist die PETA-Kampagne nicht tragbar. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Antisemitismus aus den Köpfen der Menschen noch keinesfalls verschwunden ist, sondern sich in einem sekundären Antisemitismus manifestiert. Dieser zeigt sich in Deutschland vor allem in Form einer Verdrängung der Schuld, einer Relativierung der Geschehnisse während des Nationalsozialismus und in der modernen Tarnung des Antizionismus. Eine Instrumentalisierung des Holocaust aus werbestrategischen Gründen, wie sie PETA praktiziert, trifft auf genau diesen Boden und kommt dem deutschen Bedürfnis nach einer Entsorgung der Vergangenheit entgegen.
Eine derart verkürzte Kritik geht am eigentlichen Thema des Vergleiches von eliminatorischem Antisemitismus in NS-Deutschland und der institutionellen Gewalt sowie dem industriellen Mord an Tieren vorbei. Darüber hinaus wird die Unterdrückung von Tieren innerhalb der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse nicht thematisiert. Was zu stören scheint, ist das In-Bezug-Setzen von Gewalt gegen Tiere und Gewalt gegen Menschen. PETAs plakative Gleichsetzung der äußerlichen Phänomene von Shoah und Schlachthofgesellschaft erzeugt im anthropozentrischen Geist eine Kränkung des menschlichen Selbstbildes. Der aktuelle Diskurs bedient also hauptsächlich die öffentliche Empörung, die durch den Schock der Thematisierung des Massenmordes an Tieren ausgelöst wird.
So werden Gemeinsamkeiten negiert und Unterschiede überbetont. Diese Logik greift auf ein grundlegendes binäres Denkmuster zurück, das ein wesentliches Merkmal abendländischen Denkens ist. Dass diese Logik den gesamten Kulturkreis durchzieht, und deshalb in der Analyse mit anderen Herrschaftsformen zu verbinden ist, lässt sich an weiteren Dualismen erkennen, die in ihrer sozialen Konstruktion dem Mensch/Tier-Dualismus ähnlich sind und zum Teil auf ihn verweisen: Mann/Frau, Kultur/Natur, Vernunft/Instinkt, Geist/Körper, etc. Die Befreiung der Tiere aus dem gesellschaftlichen Unterdrückungsverhältnis bedeutet für uns eine grundsätzliche Kritik an ihrer Verdinglichung und die Beendigung ihrer Nutzung. Die alltägliche Ausbeutung, Unterdrückung und Ermordung von Tieren durch die menschliche Gesellschaft spricht für sich selbst und bedarf keiner Skandalisierung. Ihre Abschaffung muss Grundbedingung einer wahrhaft emanzipierten Gesellschaft sein. Als Tierbefreiungsbewegung, die sich diesem Gedanken verpflichtet fühlt, lehnen wir PETAs Ansatz und den Vergleich mit dem Holocaust grundsätzlich ab. AG des Hamburger Tierbefreiungstreffens
Kontakt:
Der Text als .pdf-Download |