Tierschutz als Propaganda-Waffe der Nazis
Von Susann Witt-Stahl


Die Liebe der Nazis zu den Tieren ist legendär. Hitler entsagte dem Fleischgenuss. Der passionierte Jäger Göring und der Hühnerfarmbetreiber Himmler präsentierten sich öffentlich als leidenschaftliche Tierversuchsgegner. Was die gesamte nationalsozialistische Prominenz betraf, so bestand Einigkeit in der enthusiastischen Verehrung des deutschen Schäferhunds. Tierschutz spielte eine gewichtige Rolle in der propagierten Wertewelt des Nationalsozialismus. Welchen Zweck verfolgten die Nazis mit ihrer inszenierten Tierliebe?
Diese und andere Fragen zum Verhältnis der Nationalsozialisten zu den Tieren beschäftigen Wissenschaftler und Zeitzeugen. Traudl Junge - Hitlers Privatsekretärin von 1943 bis zu seinem Tod -, die im Februar ihre Memoiren "Bis zur letzten Stunde" veröffentlicht hat, schildert ihre Begegnung mit dem "Tierfreund", der Millionen von Leichen produziert" hat. Sie hegt Zweifel an der Echtheit von Hitlers Liebe zur nichtmenschlichen Kreatur. Das Paradoxon des biologistischen Weltbildes der Nazis mit einem irrationalen Tierkult einerseits und der Legitimierung der Vernichtung "minderwertiger Rassen" anderseits interessiert den US-amerikanischen Historiker Boria Sax, der den "Animals in The Third Reich" eine umfangreiche Studie gewidmet hat. Ebenso interessant ist die Abhandlung "Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft" von Johannes Caspar. Der deutsche Rechtswissenschaftler vermutet, dass die Nationalsozialisten den jahrzehntelang vernachlässigten, aber in allen Gesellschaftsschichten populären Tierschutzgedanken vor allem als "Placebo-Ethik" benutzten, um die "voranschreitende Dehumanisierung zu kompensieren" und dem Völkermord einen "kulturellen Rahmen" zu verleihen.
Bemerkenswert ist, dass die NS-Gesetzgebung den Tierschutzgedanken schon kurz nach der Machtergreifung protegierte. Am 21. April 1933 wurde das Gesetz über das Schlachten von Tieren erlassen, das eine Betäubung von warmblütigen Tieren vor der Blutentziehung anordnete. Am 26. Mai des selben Jahres folgte Paragraph 145 b Reichsstrafgesetzbuch (RStGB), der die Beschränkung des Tatbestands der Tierquälerei auf die Öffentlichkeit - ein Relikt aus dem Weimarer Tierschutzgesetz - beseitigte und das Strafmaß von maximal sechs Wochen auf sechs Monate Gefängnis erhöhte. Der Paragraph stellte aber nur eine Übergangslösung dar. Einige Monate später wurde das Reichstierschutzgesetz (RTierSchG) erlassen. Darin fanden sich Neuerungen wie die Paragraphen 5 bis 8 RTierSchG zur Reduzierung von Tierversuchen, die nun nicht mehr ohne institutsbezogene Erlaubnis durchgeführt werden durften, dem Grundsatz der Erforderlichkeit sowie der Einhaltung des Betäubungsgebots untergeordnet wurden. Diese Gesetzesänderungen waren zwar schon in der Weimarer Zeit als Vorlage diskutiert worden, erstaunlich ist aber die prompte und entschlossene Umsetzung durch die neuen Machthaber. Vor allem ist von Bedeutung, dass in den neuen Tierschutzgesetzen nicht mehr nur die Aufrechterhaltung einer allgemeinen Sittlichkeit im Vordergrund stand, sondern der Schutz der Tiere, die fortan als leidensfähige Individuen berücksichtigt werden sollten. Dabei ist allerdings wichtig, dass Tieren weiterhin der Status als Rechtssubjekte verwehrt blieb. Das institutionalisierte Töten und Quälen von Tieren zu ökonomischen und wissenschaftlichen Zwecken blieb selbstverständlich von gesetzlichen Einschränkung unberührt.
Bei genauerer Betrachtung der Novellierung der Tierschutzgesetze stellt sich allerdings die Frage, ob diese nicht vorwiegend als Sanktionsmittel gegen die jüdische Bevölkerung eingesetzt wurden. Das Betäubungsgesetz belegte nämlich das Schächten, also die jüdisch-orthodoxe Tierschlachtung, mit Strafe. In der Gesetzespräambel heißt es: "Die überwältigende Mehrheit des Deutschen Volkes hat schon lange das Töten ohne Betäubung verurteilt, eine Praxis, die unter Juden allgemein verbreitet ist." Außerordentlich dankbar war die deutsche Jägerschaft ihrem Führer nicht nur für die Gleichschaltung der Jagdverbände und die Förderung des Artenschutzes, der übrigens auf Initiative von Göring nach eugenischen Prinzipien gestaltet wurde, sondern auch für die "Arisierung" der Jagd. Der Chefideologe der Weidmänner, Walter Frevert, betonte 1936, dass der Nationalsozialismus das jagdliche Brauchtum vor "jüdischen Geschäftemachern" beschützt habe. Dieses Brauchtum sei unabdingbar für die "Erziehung zu soldatischer Haltung". Freverts Bücher werden noch heute vom "Deutschen Jagdschutz-Verband" wärmstens empfohlen.
Die Nationalsozialisten, die ihre Machtübernahme ausdrücklich als "Kulturrevolution" verstanden wissen wollten, sparten nicht an Eigenlob für ihr fortschrittliches Tierschutzrecht. So war im "Tierschutz-Taschenbuch für Polizeibeamte, Tierschutzvereine und Tierbesitzer" von 1941 zu lesen: "Während wir früher im Reichsstrafgesetz völlig unzulängliche, mit der hohen Kulturstufe des Deutschen Volkes nicht im Einklang stehende Strafvorschriften besaßen, brachte uns schon das erste Jahr der Kanzlerschaft unseres Führers Adolf Hitler, des warmherzigen Tierfreundes, das Reichstierschutzgesetz. Wir Deutschen dürfen uns rühmen, die beste Tierschutzgesetzgebung der Welt zu besitzen."
Die Nationalsozialisten verkleideten ihren Hass gegen Menschen als Barmherzigkeit gegen die Tiere, lautet eine These der Philosophen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. Die Gründer der Kritischen Theorie hatten schon in den 40er-Jahren in ihrer "Dialektik der Aufklärung" auf die "Tier- und Kinderfrommheit der Faschisten" hingewiesen: "Das lässige Streicheln über Kinderhaar und Tierfell heißt: die Hand kann vernichten. Sie tätschelt zärtlich das eine Opfer, bevor sie das andere niederschlägt, und ihre Wahl hat mit der eigenen Schuld des Opfers nichts zu tun. Die Liebkosung illustriert, dass alle vor der Macht dasselbe sind, dass sie kein eigenes Wesen haben. Dem blutigen Zweck der Herrschaft ist die Kreatur nur Material." Auffällig ist: Die Nazi-Propagandisten waren stets bemüht, ihre erklärten Feinde durch Verwendung von Tiermetaphern, wie beispielsweise dem Juden-Ratten-Vergleich in dem Film "Der ewige Jude" von 1940, als biologisch determinierte Instinktwesen zu denunzieren. So waren die Frankfurter Soziologen - die übrigens davor warnten, die Unterdrückung von Menschen und Tieren isoliert voneinander zu analysieren - zu dem Schluss gekommen, dass der Tierschutz für die Nazis die Funktion hatte, die "‚niederen Rassen’, die sie als bloße Natur behandelten, um so tiefer zu erniedrigen".
Mitgefühl für die geschundene Kreatur, eine Propaganda-Lüge? Auch einige Fakten des NS-Alltags sprechen dafür. Beispielsweise gehörte ein brutaler Treue- und Gehorsamsbeweis zur Ausbildung von SS-Soldaten: Die Elite-Krieger mussten nach Monaten engsten Zusammenlebens mit einem Schäferhund dem Tier vor den Augen ihres Offiziers das Genick brechen. Nicht besser erging es den Versuchstieren: 1933 hatte Hermann Göring noch in einer Radioansprache gedroht, jene "in Konzentrationslager" einzuliefern, "die denken, sie könnten Tiere als leblose Dinge behandeln" und verkündet, dass "die unerträglichen Quälereien und Leiden der Tiere in den Versuchen" nun ein Ende finden würden. Doch Tierversuche, deren Urheberschaft die Nazis ohne weitere Begründung jüdische Wissenschaftler bezichtigten, wurden weiterhin, nun von Günstlingen des Regimes durchgeführt. Aus detaillierten Studien von Historikern wie Raul Hilberg und Eugen Kogon über die Konzentrationslager und den Holocaust geht hervor, dass zahlreiche Tierexperimente in großem Umfang Rüstungszwecken oder der beschleunigten Durchsetzung rassenideolgischer Ziele dienten. Beispielsweise nahm Himmler-Schützling Rascher 1942 Unterkühlungsversuche für die "Deutsche Luftfahrt-Medizinische Forschung" 1942 in Dachau vor, und die Firma Madaus führte 1943 Sterilisationsversuche in Auschwitz durch. Dabei wurden Tierexperimente Versuchen an Häftlingen vorgeschaltet oder durch sie ergänzt.
Ebenso erweist sich die Tierliebe der Nazi-Prominenz als Mythos, der über Kitsch-Postkarten, die den Privatmann Hitler beim Füttern von Rehkitzen zeigten und Titel wie "Der Führer als Tierfreund" trugen, gezielt generiert wurde. Abgesehen davon, dass Hitler neben Rudolf Hess der einzige Vegetarier in der nationalsozialistischen Führungsriege war, muss wohl von egoistischen Beweggründen und nicht von tierethischen Motiven für den Fleischverzicht ausgegangen werden. In seinem Buch "Gespräche mit Hitler" erklärt Hermann Rauschning, enger Vertrauter Hitlers in den frühen 30er-Jahren, die Neigung zur Askese sowie gesundheitliche Probleme zum ausschlaggebenden Impuls für den Vegetarismus des Diktators. Hitler habe in Anlehnung an Richard Wagner den "kulturellen Verfall" auf den Fleischgenuss zurückgeführt. Nach Hitler käme so vieles von diesem Verfall "vom Unterleibe her, chronische Verstopfung, Vergiftung, Rausch". Daher enthielte er sich "des Fleisches, des Alkohols und des schmutzigen Rauchens". Zudem war für den fanatischen Wagnerverehrer der Umstand wichtig, dass "die größte Prophetengestalt, die das deutsche Volk besessen" habe, in ihren "Regenerationsschriften" die Kritik des Fleischgenusses mit antisemitischen Implikationen versehen hatte.
Der Komponist prangerte die Juden als der Natur entfremdete Materialisten an, die ihr Dasein als "Profitraubtiere" fristeten. In dem Aufsatz "Religion und Kunst" von 1880 setzte Wagner die "moderne" Welt mit der "jüdischen" gleich. Sowohl in seinen Spätschriften als auch in seinem letzten Bühnenwerk "Parsifal" mahnte der sendungsbewusste Komponist aber auch zur Gewaltlosigkeit und Versöhnung. Mit Verweis auf die buddhistisch geprägte Mitleidsethik des Philosophen Arthur Schopenhauer appellierte er an die Menschen, sich in "Sanftmut und dem Mitleiden für alles Lebende" zu üben und schlug ein Bündnis zwischen Vegetarier-, Tierschutz- und Mäßigkeitsvereinen zur "Wiederauffindung des verlorenen Paradieses" vor. Hitler indes, der "Parsifal" zu seiner Lieblingsoper erklärt hatte, wollte von Wagners Botschaft einer "christlich-schopenhauerschen Mitleidsreligion" und ihrem "Karfreitagszauber" nichts wissen. "Parsifal" gelte allein der Verherrlichung des "reinen, adligen Blutes", so Hitler, "wir alle leiden an dem Siechtum des gemischten, verdorbenen Blutes." Das Mitleid wende sich nur an das innerlich Verdorbene und kenne nur eine Handlung, den Kranken sterben zu lassen. Hitlers emphatische Kälte bekamen auch Tiere zu spüren. Er erschoss einen Hund ohne jeden Grund, traktierte seine "treuen Gefährten" mit Gehorsamsübungen, verabscheute Tiere, die nicht reinrassig waren.
Hermann Rauschning und die amerikanischen Psychologen Bromberg und Small halten Hitlers Liebe zu Tieren, ebenso wie die zu Kindern, für reine Pose. Sie sei eine Facette des inszenierten Führermythos, also Bestandteil des nationalsozialistischen Propagandakonzepts. Diese Vermutung bestätigt auch die kürzlich verstorbene Traudl Junge: "Hitler hat nie seinen Vegetarismus damit begründet, dass ihm die Tiere leid tun." Und zu Hitlers emotionaler Beschaffenheit allgemein bemerkt sie: "Ich glaube, er hat überhaupt keine Gefühle gehabt, außer die Juden zu hassen."