Cordula Kropp: "Natur". Soziologische Konzepte, politische Konsequenzen. Eine Buchvorstellung.

Von André Krebber

Cordula Kropp schreibt in einer feministischen Tradition wissenschaftskritischer Autorinnen, allen voran Ulrich Beck, Donna Haraway und Bruno Latour. In ihrer Dissertationsschrift "Natur" setzt sie zu einer Klärung im Dschungel der Diskussion über den Natur/Kultur-Dualismus an und bietet so eine Einführung in das Thema. Sie verdeutlicht die Hierarchisierungstendenz dieses Dualismus und warum die momentane weltweite Krise innerhalb einer strikten Trennung und Gegenüberstellung von Natur und Kultur nicht gelöst werden kann. Systematisch deckt sie die immer wieder aufs Neue Dualismen produzierenden Diskurse auf. Jedoch bleibt sie nicht in dieser Kritik stecken, sondern geht darüber hinaus und entwickelt anknüpfend an Latour und Beck Kriterien, die sie als "Leitideen" für eine "experimentelle Demokratie" verstanden wissen möchte, um die längst überfällige dualistische Kategorisierung in unserer Lebensweise zu überwinden und die unauflösbare Verbundenheit und Bedingtheit dieser beiden vermeintlichen Pole anzuerkennen. Es ist ein Versuch der Definition einer neuen Lebensweise, in der Hierarchien aufgelöst werden und wir endlich Verantwortung für unser Handeln übernehmen. Es geht in ihrem Buch um nichts weniger als den Entwurf zu einer neuen Form des Zusammenlebens, das Hierarchien, die aus der Gegenüberstellung von Natur und Kultur entstehen, überwindet. Das von ihr verwendete Konzept der "experimentellen Demokratie" soll dabei die Risiken bezüglich der Wirkungen jeglicher Handlungen anerkennen und zu berücksichtigen versuchen, ohne jedoch die Menschheit als das Übel der Natur zu betrachten oder aber alle Umweltprobleme als konstruiert und damit als nicht berücksichtigenswert zu bezeichnen. Welchen Beitrag kann die Soziologie für die Behandlung der ökologischen Frage leisten?
Hierzu nimmt sie zunächst die Einordnung der Natur in die Sozialwissenschaften vor und beschäftigt sich mit der Bedeutung von Natur in soziologischer Fragestellung und Theorie.
Kapitel zwei sortiert die unzähligen Ansätze in der Soziologie, die Natur als Gegenstand ihrer Theorien zu berücksichtigen versuchen. Kropp teilt hierzu ein in naturalistische, soziozentristische sowie jüngere vermittlungstheoretische Ansätze, wobei letzteren - als vermeintlichen Auflösungen des Dualismus - ein eigenes Kapitel gewidmet wird. Nach und nach entlarvt sie alle Ansätze der Produktion einer "Natur-da-draußen". Die einzelnen Kritikpunkte werden systematisch entwickelt und jeweils in historische und kulturelle Zusammenhänge gestellt. Die vermittlungstheoretischen Positionen führt sie als den Versuch ein, die heutzutage nicht mehr wegzudenkenden "Hybridwesen" zu fassen und einzuordnen. Den wesentlichen Gewinn dieser Ansätze sieht sie in "einer Form von Verantwortung und Gestaltungskompetenz 'for our common future', vor der reduktionistische Ansätze stets zurückgeschreckt wären." (147). Natur gilt in ihnen eben erst einmal nicht mehr als das Gegebene, das Unumstößliche, die Richtschnur, an der wir die Gesellschaft orientieren sollen, sondern sie legen bewusst Wert auf eine Verantwortung, die aus unseren Handlungen erwächst, indem sie die Herstellung (Konstruktion) von Wirklichkeit beeinflussen. Sie versuchen die Konstruiertheit, aber auch die handfeste Bedrohung zu berücksichtigen in ihren Konzepten von Natur, Kultur und deren Verschlungenheit. Kropp macht aber auch am Beispiel Marxens und vor allem Moscovics wiederum ihre Dualismen produzierenden Dimensionen deutlich. Nach der Vorstellung der vermittelnden Konzepte Haraways und Latours beschäftigt sie sich im letzten Kapitel mit der Entwicklung einer Politik der Natur, denn genau hier liegt für sie das Vernachlässigte. Explizit reduziert Kropp Natur nicht auf ihre gesellschaftliche Konstruktion, sondern stellt auch ihre stoffliche Herstellung heraus. Natur wird eben nicht lediglich in unseren Köpfen konstruiert, wie es der streng konstruktivistische Flügel in der Debatte bekräftigt; Umweltprobleme sind vielmehr sehr reale Bedrohungen und lassen sich demnach nicht einfach entkonstruieren, um sie zu lösen (Bspl. Ozonloch). In allen Zusammenhängen steht lediglich zur Debatte, ob und zu wessen Ungunsten wir die Grenzlinie zwischen Natur und Kultur verschoben haben. Die Grenze selber wird jedoch nicht diskutiert, denn "nur so kann es den heimlichen Diktatoren mit ihrer (häufig fundamentalistischen) Rede von der 'Natürlichkeit der Verhältnisse' gelingen, politische Gestaltungsansprüche schnell in ihre Schranken zu weisen, während umgekehrt zurückgelehnte Intellektuelle, agnostisch gegenüber jedweden öko-katastrophischen Szenarien, das letzte große Feld der Ideologie und ihrer möglichen Dekonstruktion wittern - und sich auf die Autopsie einer weiteren modernen Metaerzählung freuen." (218) Dabei werden jedoch ständig die "ausgeschlossenen oder marginalisierten Alternativen [vernachlässigt], denen [zumindest diesmal] keine Chance auf Wirklichkeit eingeräumt wurde."(217, Hervorhebungen im Original) Jedoch gerade im Erkennen dieser "Optionalität", in den Gestaltungsmöglichkeiten der sozial-ökologischen Verhältnisse wittert Cordula Kropp das Politische. Gesellschaften und ihre Naturen werden zur "Gestaltungsaufgabe", zu einem Projekt, das eben politisch verhandelt werden muss. Die Möglichkeiten technischer Rationalität oder transzendenter Natur haben in diesem Rahmen als beruhigende Gewissheiten keinen Platz mehr. Vielmehr müssen wir unsere Verantwortung anerkennen, die in einer bewussten Entscheidung für oder auch gegen unsere Handlungen und ihre Wirkungen auf unsere Umwelten liegt. Hierin liegt der Versuch, die Risiken und die Ungewissheit, die zwangsläufig in jeder Handlung liegen, anzuerkennen und so gut wie möglich zu kalkulieren, wofür sie im letzten Teil ihres Buches einen Kriterienkatalog entwirft.
Sie entwickelt Ideen für diese Verhandlungen als eine "experimentelle Demokratie", die die unumgängliche Unsicherheit und Situiertheit politischer Entscheidungen berücksichtigt. In diesen Kriterien wird von ihr explizit auch die Berücksichtigung nicht-menschlicher Akteure bei der Herstellung von Wirklichkeit herausgestellt. Dieser Punkt, der nichtmenschliche Subjekte direkt in den Entwurf einer nachdualistischen "Lebensweise" integriert, ist ein interessanter Anknüpfungspunkt für eine tier-rechtstheoretische Auseinandersetzung. In der Idee zu einer neuen Form des gemeinsamen Zusammenlebens nicht-menschliche Akteure direkt zu berücksichtigen, ist eine Seltenheit und sollte gerade in Tierrechtszusammenhängen Beachtung finden.