Innerhalb einer Kultur des Schlachthofes - Jenseits von Fleisch
Eine Exkursion entlang der Speziesgrenze
oder
Ein kurzer Ausflug zwischen Warenwelt und wahre Welt
von Günther Rogausch
Ob bei Vorträgen, an Informationsständen oder bei
Demonstrationen, ... eine Frage, die mir von Zeit zu Zeit gestellt wird, ist
die, ob ich denn nicht früher selbst „Fleisch“ gegessen hätte. Diese
Frage wird zumeist nicht aufgrund eines aufrichtigen Interesses gestellt, sondern
sie ist der bloßen Rhetorik halber gewählt worden. Die Fragenden
erwarten die Antwort: „Ja, ich habe früher auch Fleisch gegessen“. Ja,
sie wollen diese Antwort hören. Und ich? - Ich kann ihnen kein Nein entgegenhalten.
Meine Antwort beginnt mit einem Ja. Schon bevor ich ein weiteres Wort sagen
kann, ist bei den Fragenden eine Spur von Triumph zu bemerken: Ein Lächeln
im Gesicht, ein „Hab’ ich’s doch gewußt“, ... . Wie gerne würde ich
ihnen mit einem Nein antworten!
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es geht mir dabei nicht um die
Reaktion der Fragenden. Ich bedauere es nicht, daß ich in einer solchen
Situation nicht triumphieren kann. Abgesehen davon, daß Triumph eh’ nicht
meine Sache ist, kann die Antwort hier, egal wie sie ausfällt, d.h. auch
wenn sie Nein lauten würde, nicht jubelnd, frohlockend, sieges- oder überlegenheitsbewußt
sein. Denn es geht hier primär nicht um mich, es geht vielmehr um Millionen
von Individuen.
Es geht um Millionen von Individuen, die in der Vergangenheit zu Fleisch gemacht
und erklärt worden sind. Es geht um all diejenigen, die in der Gegenwart
zu Fleisch gehalten und umgebracht werden. Und es geht, nicht zuletzt, um all
die Hühner, Schweine, Rinder, ... , die in Zukunft das mörderische
Stigma Schlachtvieh verpaßt bekommen. Es geht um sie alle, um jede einzelne
und jeden einzelnen von ihnen - als Individuen, nicht als abstrakte Masse! Gemäß
der amtlichen bundesdeutschen Statistik wurden hierzulande allein im Jahre 1996
36.708.400 Schweine, 4.912.300 Rinder, 482.700 Kälber, 1.987.200 Schafe,
10.900 Ziegen, 23.400 Pferde, 234.000.000 „Masthähnchen“, 27.500.000 „Legehühner“,
17.000.000 Puten, 15.000.000 Enten und 1.200.000 Gänse geschlachtet. In
dieser Statistik verschwinden die Tiere als Individuen aus dem Blickfeld. Nicht
allein deshalb, weil dieser Leichenberg unvorstellbar groß ist. So wird
z.B. die Anzahl der geschlachteten Vögel nicht gezählt, sondern berechnet,
indem das Gesamtschlachtgewicht durch ein angenommenes Standardgewicht eines
Vogels dividiert wird. Bei Fischen, die nicht als zu schlachtendes Schlachtvieh,
sondern als zu fischende Fische angesehen werden, werden solche Berechnungen
erst gar nicht gemacht: Sie werden einzig in dem Warenmaß Tonnen erfaßt.
Wie gesagt, es geht nicht um mich. Sicherlich, es läßt sich nicht
abstreiten, daß ich auf irgendeine Art froh bin, an diesem Umbringen nicht
mehr beteiligt zu sein, ich bedauere es zutiefst, jemals daran beteiligt gewesen
zu sein. Jedes Mal, wenn eine Frage, wie „Sie haben doch früher auch Fleisch
gegessen!?“ gestellt wird, denke ich daran, was in meinem Namen, in meinem Auftrag,
mit meiner Komplizenschaft nichtmenschlichen Tieren angetan wurde. Ich werde
es niemals vergessen: „Wie konnte ich Dir das jemals antun? Wie konnte ich Euch
das jemals antun?“ Um nochmals Mißverständnissen vorzubeugen: Es
sind nicht meine Schuldgefühle, die mich so gerne sagen ließen: „Nein,
ich habe niemals ein Leichenteil eines durch einen Menschen umgebrachten Tieres
gegessen!“. Denn so sehr ich auch meine Vergangenheit als „Fleischesser“ bereue,
so wenig will ich sie, inklusive meiner Schuldgefühle, vergessen.
Ich erwähne dies nicht, um zu lamentieren: Ich weiß, daß ich
an dem Vergangenen nichts mehr ändern kann. Vielmehr erwähne ich dies,
weil das Lächeln im Gesicht oder das „Hab’ ich’s doch gewußt!“ derFragestellenden
damit verbunden ist, was sie für eine Vorstellung über meine/die Motivation,
kein „Fleisch“ zu essen, haben. Siegesbewußt weisen sie darauf hin, daß
meine Weste nicht weiß ist. Sie verstehen offensichtlich nicht, daß
es hier, beim „Fleischessen“, nicht um (meine) persönliche „Reinheit“,
sondern um das Leben und die Freiheit der nichtmenschlichen Tiere geht.
Traurigerweise stehen sie mit dieser Ansicht nicht allein: Wieviel VegetarierInnen
und VeganerInnen sind aus unterschiedlicher Motivation - sei es, da sie Angst
haben, als SpinnerIn zu gelten, aus Furcht FreundInnen zu verlieren, aus ehrlicher
Überzeugung, ... - geradezu peinlich (z.T. bei jeder sich bietenden Gelegenheit)
darum bemüht zu betonen, daß ihre Ablehnung des „Fleischkonsums“
nicht mehr als eine persönliche Entscheidung sei. Damit bringen sie - ob
sie sich bislang darüber bewußt waren oder nicht, ob sie dies beabsichtigt
hatten oder (wie ich bei den meisten annehme) nicht - gegenüber anderen
Menschen unmißverständlich zum Ausdruck, daß ihr Vegetarismus
bzw. Veganismus mehr aus einem Wunsch nach persönlicher „Reinheit“ als
aus einer grundlegenden Kritik an dem bestehenden Mensch-Tier-Verhältnis
resultiert.
VegetarierInnen/VeganerInnen, die ihren eigenen Vegetarismus/Veganismus sowie
das Essen von Leichtenteilen umgebrachter nichtmenschlicher Tiere als Lebensweise
bzw. Lifestyle und nicht als Lebenseinstellung begreifen (was nicht eine Sache
der Wortwahl ist!), den (menschlichen) Leichenkonsum akzeptieren und/oder betonen,
daß es die freie Entscheidung der „Fleischessenden“ sei, so wie es ihre
Entscheidung sei, vegetarisch/vegan zu leben, leugnen die politische Dimension
des Vegetarismus/Veganismus. Sicherlich ist es die Entscheidung jedes einzelnen
Menschen, ob er/sie „Fleisch“ essen will oder nicht. Aber das heißt nicht
mehr, als ihren/seinen Willen wahrzunehmen und sagt über die Tragweite
ihrer/seiner Entscheidung nichts aus. Mit der Betonung der (freien) Entscheidung
läßt sich letztendlich alles - nicht alleine das „Fleischessen“ -
legitimieren. Anstatt die Platitüde der freien Entscheidung zu betonen,
wäre/ist es vielmehr erforderlich, die Tragweite einer Entscheidung zu
betonen, bezüglich des Fleischessens also den Willen, ein nichtmenschliches
Tier zu töten (bzw. töten zu lassen) oder den Willen, ihn/sie leben
zu lassen oder allgemeiner formuliert, zu betonen, ob mensch - bei jeder Entscheidung
erneut - für oder gegen Ausbeutung/Gewalt Stellung bezieht! Durch das Leugnen
dieser Dimension des „Fleischessens“ wird das Umbringen/Schlachten von nichtmenschlichen
Tieren reprivatisiert und zu einer Frage dessen, was mensch essen will,
d.h. zur Nahrungsfrage, erklärt. Die dominante Vorstellung, daß „Fleisch“
Nahrung, und nicht Mord, sei, wird dadurch reproduziert.
Für die allermeisten Menschen unserer Gesellschaft sind Hühner, Schweine,
Rinder, ... Schlachtvieh und ihre Leichenteile sind Fleisch - sind Nahrung.
Wenn eineR kein „Fleisch“ ißt, so wird dies zumeist allerhöchstens
als deren/dessen persönliche Entscheidung toleriert, aber nicht zugleich
als eine politische Aussage und Forderung verstanden. Ich will gerne ein Beispiel
bringen: Ich erinnere mich noch gut daran, auf was für eine Reaktion meine
standhafte Weigerung „Fleisch“ (und nicht etwa Obst, Gemüse und Getreide)
einzukaufen, in meinem Elternhaus stieß: „Ich bringe Dir doch auch Gemüse
mit!“. Selbst diejenigen unter den VegetarierInnen und VeganerInnen, die die
Beendigung des „Fleischkonsums“ offensiv einfordern,werden von anderen Menschen
häufig falsch verstanden.
Geht mensch zu weit, wenn mensch sogar davon spricht, daß sie genau das
verstehen, was sie verstehen wollen? Ich denke, als Pauschalurteil ist dies
sicherlich nicht zutreffend, es ist aber durchaus keine Seltenheit: Wie oft
wirdauf die vollständige Antwort auf die Frage „Haben Sie denn noch nie
Fleisch gegessen?“ gar nicht mehr gewartet? Wie oft wird sich triumphierend,
nach dem anfänglichem Ja abgewendet? Wie bereits festgestellt, ist die
Frage zumeist bloße Rhetorik. Und doch ist es äußerst interessant
über die Motivation der Fragenden zu reflektieren. Denn ist die Frage auch
als bloße Rhetorik gemeint, so wird an ihr für die/den aufmerksameN
BeobachterIn doch zugleich Verborgenes offenbar.
Ich habe bereits aufgezeigt, daß die Thematisierung des „Fleischkonsums“
oft auf ein grundlegendes Unverständnis trifft, sie wird nicht als politische
Forderung und Entscheidung, sondern allerhöchstens als eine sog. persönliche
Entscheidung, besser: als individuelle Vorliebe betrachtet. Hier wird deutlich,
daß eine Debatte über den „Fleischkonsum“ bzw. die Schlachtung von
nichtmenschlichen Tieren - wie im übrigen jede Debatte bzgl. des Mensch-Tier-Verhältnisses
- nicht im „luftleeren“, neutralen, sog. objektiven Raum, sondern innerhalb
eines bestimmten Kontextes, dem eine Praxis immanent ist, stattfindet. Dieser
Kontext, mitsamt der Praxis - diese Ideologie - wird im folgenden als Speziesismus
benannt werden.
Der Begriff Speziesismus wurde erstmals Anfang der 70er Jahre von Richard Ryder
- einem Psychologen, der übrigens früher selbst Tierversuche durchführte
- benutzt, um damit die „weitverbreitete Diskriminierung, die vom Menschen gegenüber
anderen Spezies praktiziert wird, zu beschreiben“ (Ryder 1983: 5) und um gleichzeitig
eine Parallele zu Rassismus und Sexismus zu ziehen. Seitdem hat sich der Begriff
Speziesismus gerade in der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung durchgesetzt,
um damit über die Diskriminierung hinaus die Ideologie zu benennen, nach
der Menschen das Recht hätten, bzw. es als ihr Recht ansehen, über
die anderen Tiere zu herrschen, sowie um alle Einstellungen zu kennzeichen,
die darauf zurückzuführen sind, daß der Mensch als die überlegene
Spezies - Art, Gattung - angesehen wird.
Ideologie wird hier, wie es am Beispiel der rhetorischen Fragestellung aufgezeigt
wurde, nicht erst produziert, sondern existiert bereits im vorhinein und drängt
sich auf die individuellen Wahrnehmungen auf. Was tatsächlich ein Problem
des Bewußtseins ist, wird als ein Aspekt der persönlichen Entscheidung
und als ein „natürlicher“ Aspekt unseres Lebens gesehen und präsentiert.
Die speziesistische Ideologie umfaßt somit nicht allein die Möglichkeit
zur fortwährenden Reproduktion des Status quo, sondern die Potentialität
der Flexibilität ist ihr Charakteristikum. Diese Ideologie, der Speziesismus,
ist also kein starres „Denkgebäude“, sondern könnte eher als eine
Art Perpetuum mobile beschrieben werden, würde mensch damit nicht die wichtige
Tatsache außer acht lassen, daß der Speziesismus - wie jede Ideologie
- durch Menschen bewegt, belebt und aufrechterhalten wird.
Und diese Fähigkeit zur Flexibilität hat der Speziesismus auch verdammt
nötig, denn diese Ideologie muß einiges aushalten! Ich will an dieser
Stelle gar nicht auf die vielfältigen Bemühungen der schärfsten
KritikerInnen und GegnerInnen des Speziesismus, den vegan lebenden TierrechtlerInnen,
TierbefreierInnen, ... (wie immer sie sich auch bezeichnen mögen) hinaus.
Ich will auf die Zweifel auch bei scheinbar noch so überzeugten SpeziesistInnen
hinaus.
Die/Der aufmerksame BeobachterIn, der von uns betrachteten rhetorischen Fragestellung
„Haben sie etwa früher kein Fleisch gegessen?“ wird vielleicht wissen,
worauf ich anspiele. Für die Fragestellenden scheint etwas Beruhigendes
darin zu sein, sich vergewissern zu lassen, die Bestätigung zu bekommen,
daß auch/selbst offensive GegnerInnen der Schlachtung früher „Fleisch“
gegessen haben. Die Frage ist nicht frei von Trotz, sie wirkt schon ein stückweit
rechtfertigend. Um es auf den Punkt zu bringen: Sie ist zwar einerseits voller
Ignoranz, doch andererseits ist sie auch davon geprägt, daß sich
irgendwo auch in bezug auf den „Fleischkonsum“ ein Gewissen regt, ein im Unbewußten
noch so verborgenes Unrechtsbewußtsein. Das Aufzeigen der Blutspuren auf
den Westen der SchlachtungsgegnerInnen geht mit einem gewissen Grad an unterschwelliger
Bewunderung einher. Das trotzige, triumphierende „Seht Ihr, Ihr seid doch auch
nicht perfekt!“, ist in aller Regel nicht darauf zurückzuführen, daß
die SchlachtungsgegnerInnen sich selbst so sehen oder darstellen, sondern vielmehr
darauf, daß das bereits beschriebene schlechte Gewissen sich zu Wort meldet:
Die Vorstellung, daß der/die VegetarierIn bzw. VeganerIn perfekt ist,
beruht auf einer eigenen Projektion.
Ich will dieses unterschwellige Gewissen gewiß nicht überbewerten.
Mensch stelle sich nur einmal vor, daß die Fragestellenden zufällig
auf einen Menschen treffen, die/der tatsächlich in ihrem/seinem Leben noch
kein „Fleisch“ gegessen hat. Zwar würde die erwartete Antwort ausbleiben,
aber die Reaktion des/der Fragenden würde mutmaßlich nicht darin
bestehen, sein/ihr Handeln zu überdenken, sondern eher würden Sprüche
wie, „Komm’, erzähl’ doch nichts“ oder „Junge, Du weißt doch gar
nicht, was Du verpaßt!“ kommen. Der Gebrauch von nichtmenschlichen Tieren
ist in unserer Gesellschaft so zementiert, daß viele Menschen ihn niemals
hinterfragen. Daß nichtmenschliche Tiere für Nahrung und Kleidung
ausgebeutet und umgebracht werden, für die „Sicherheit“ und Erforschung
von Medikamenten, Kosmetika, ... im Namen der Wissenschaft vergiftet, verbrüht,
verbrannt, vergast, ertränkt werden, ihnen Augen, Magen, Haut verätzt
werden, ihre Knochen gebrochen, zertrümmert, zersägt werden, ihre
Schädel zerschmettert werden, ihre Stimmbänder durchgeschnitten werden,
..., daß sie für Entspannung und Vergnügen aufgespießt
und erschossen werden, für Vergnügen ausgestellt und dressiert werden,
für Partnerschaft gezüchtet und gehalten werden, für Sport und
Krieg benutzt werden, für Therapie eingesetzt werden, ... wird selten prinzipiell
in Frage gestellt.
Aber dennoch ist es gerade dieses unterschwellige Gewissen, dieses vor sich
selbst verborgene Wissen, welches unsere Aufmerksamkeit bekommen sollte. Dieses
verborgene Ge-Wissen - das wissende Gewissen - ist mal mehr mal weniger offensichtlich,
ja es tritt bisweilen unverhohlen zu Tage. Diejenigen unter Euch, die schon
mal versucht haben, Menschen davon zu überzeugen, daß es ein (moralisches)
Unrecht ist, „Fleisch“ zu essen, werden sicherlich schon mal den Satz „Ich selbst
könnte kein Tier umbringen!“ gehört haben. Es sei an dieser Stelle
einmal beiseite gestellt, ob dies wirklich zutrifft - ich denke nicht! - auf
jeden Fall, würde mensch solch eine Antwort sicherlich nicht bekommen,
wenn es z.B. darum ginge, einen Apfel vom Baum zu pflücken. Diese Aussage
ist ein Ausdruck davon, daß viele „FleischesserInnen“ offensichtlich zumindest
Skrupel haben, ein nichtmenschliches Tier umzubringen. Und diese Skrupel beruhen
eben auf ein verborgenes Wissen über ein damit begangenes (moralisches)
Unrecht, sind sozusagen das Lebenszeichen eines sich noch regenden Gewissens.
Diese ausgesprochenen oder zumeist unausgesprochenen Zweifel am speziesistischen
Status quo bieten, und seien sie noch so kaschiert, einen Ansatzpunkt,
den Speziesismus und somit auch das Fundament der Schlachthäuser zu destabilisieren.
In diesem Sinne ist mein Vortrag als ein Beitrag zur Destabilisierung des Speziesismus
konzipiert. Er ist konzipiert, um diese Zweifel und dieses Wissen um moralisches
Unrecht, d.h. Unrechtsbewußtsein zu kultivieren: Er ist konzipiert, um
den Erkenntniserwerb an den Susan Griffin erinnert - die eigene Weisheit - zu
fördern:
Wir, die in diese Zivilisation hineingeboren sind, haben
eine Geistesgewohnheit geerbt. Wir sind gegen uns selbst geteilt. Wir fühlen
uns nicht länger als ein Teil dieser Erde. Wir betrachten unsere Mitgeschöpfe
als unsere Feinde. Und, sehr jung, lernen wir sogar, einen Teil unseres eigenen
Seins zu verleugnen. Wir lernen zu glauben, daß wir nicht wissen, was
wir wissen. Wir gewöhnen uns daran, die Evidenz unserer eigenen Erfahrung
zu ignorieren, was wir hören oder sehen, was wir in unseren eigenen Leibern
fühlen. Wir werden erwachsen, während wir Geheimnisse bewahren. Aber
wir vergessen dieses geheime Wissen und fühlen stattdessen nur eine wage
Scham, ein Gefühl, daß wir vielleicht nicht der/die sind, der/die
wir sagen zu sein. Doch wir haben gut gelernt vorzutäuschen, daß
das was wahr ist, nicht wahr ist. [...]
Die Aufteilung unseres Geistes ist in unserer Sprache eingeprägt. Für
uns bedeutet das Wort Denken eine Aktivität, die separat vom Gefühl
ist, so wie das Wort Verstand einen Platz getrennt vom Leib [...] suggeriert.
[...] Und dieser Geist, gelehrt und geschult durch diese Zivilisation, kennt
sich selber nicht. Dies ist ein Geist im Exil von seiner eigenen Weisheit. (
S. Griffin 1989: 7/8)
Zu diesem Zweck möchte ich Euch dazu einladen, mich auf
eine kurze Exkursion entlang der vehement bewachten und gesicherten Mensch-Tier-Grenze
zu begleiten.
Wie ist es zu erklären, daß es in unserer Gesellschaft für Menschen
nichts demütigenderes gibt, als „wie ein Tier behandelt“ zu werden? Und
(nicht nur) in diesem Zusammenhang: Warum gelten Menschen als Nicht-Tiere? Warum
gilt es als eine erniedrigende Geste und als ein Signal der Unterwerfung, „auf
allen Vieren zu kriechen“? Warum ist es gang und gäbe, daß Menschen
Menschen beleidigen und beschimpfen, indem sie sie als nichtmenschliche Tiere,
insbesondere solche, deren Leichenteile mit Vorliebe konsumiert werden, bezeichnen:
Schwein, Kuh, Huhn, Gans, Ziege, Sau, Ferkel, Affe, Ratte, ... ? Warum sagen
wir, daß ein Mensch mausetot ist?Warum schätzen wir es nicht, zu
Freiwild oder vogelfrei erklärt zu werden?
Was für eine Meinung wir von nichtmenschlichen Tieren haben, welche Verachtung
ihnen entgegenschlägt, wird besonders deutlich daran, daß Menschen,
die anderen Menschen Gewalt antun/angetan haben, häufig als Bestien, (gerade
dann) als Tiere, als Schweine, als Unmenschen, ... und als bestialisch,
brutal, viehisch und/oder unmenschlich benannt werden.
Die Verachtungder nichtmenschlichen Tiere geht oft mit ihrer Verhöhnung
einher. Bei Eseln und bei Affen ist der Spott offensichtlich. Wenn mensch sich
„affig“ benimmt, so wird damit gesagt, daß mensch nicht ernst zu nehmen
sei. D.h. aber auch, daß Affen insgesamt und immer nicht ernst zu nehmen
sind. Es ist augenfällig, daß Menschen gerade zu den nichtmenschlichen
Tieren, die ihnen laut der evolutionären Theorie und der Klassifikation
in „höhere“ und „niedere“ nichtmenschliche Tiere am nächsten stehen,
in dieser Form eine Kluft graben wollen. Soheißtes z.B.bereitsim16.Jahrhundert,daß
der Körper eines Affen „wegen einer indezenten Ähnlichkeit und Imitation
des Menschen“ (Topsell zitiert nach Thomas 1984: 57) lächerlich ist.
Der Spott zeigt sich aber auch bei einigen der zuvor aufgeführten Beispiele,
so z.B. bei der Verwendung von Spezieskategorien als Schimpfwörter und
Beleidigungen. Dies wird durch die Attribute, die Menschen den nichtmenschlichen
Tieren, ausgesprochen oder unausgesprochen zuordnen und auch als Adjektiv bei
“Schimpfwörtern“benutzen, besonders deutlich: blöde Kuh, dummes Huhn,
doofes Schaf, fette Sau, dreckiges Schwein ... .
Der allgemeinen Ansicht nach sind Schweine ekelhafte Lebewesen,
aber tatsächlich ist das einzig ekelhafte an Schweinen unsere Einstellung
ihnen gegenüber. (Robbins 1987: 74)
Die Vorstellung vom „Dreckschwein“ bzw. von der „Drecksau“ ist
ein kollektives, ideologisch erzeugtes Vorurteil, das ebenso wie die Vorstellung
vom Kapitalistenschwein, Chauvinistenschwein bzw. Nazischwein nicht„das Wesen“
eines Schweins beschreibt. Daß Schweine sich gerne im Schlamm suhlen (oder
im Wasser baden), ist ganz und gar kein Widerspruch dazu: Es verschafft ihnen
Kühlung, lindert Juckreiz und erfolgt aus hygienischen Gründen.
Reiben die Schweine die getrocknete Schlammschicht an einem Baum ab, so werden
sie damit zugleich die ihnen lästig werdenden Flöhe, Fliegen und Läuse
los. Zu „Dreckschweinen“ werden sie erst durch den Menschen gemacht, zum einen
im eben beschriebenen Sinne und zum anderen im wortwörtlichen Sinne: Sie
sind auf engstem Raum in Hallen eingesperrt, in denen das Credo gilt:
Vergiß, daß das Schwein ein Tier ist. Behandele
es genauso wie eine Maschine in einer Fabrik. (Brynes zitiert nach Mason/Singer
1990: 1)
Dementsprechend werden sie gezwungen, in ihren eigenen Exkrementen
zu liegen/stehen. Außerhalb der Fabrik-Bauernhöfe, der sog. Massentierhaltung,
würden sie vermeiden, ihre eigenen Essens-, Schlaf- und Wohnplätze
damit zu beschmutzen.
Die Verhöhnung nichtmenschlicher Tiere wird oft auch ausgesprochen positiv
konnotiert, z.B. zum Amüsement von Menschen. Ein besonders bezeichnendes
Beispiel dafür ist eine Werbung von Wienerwald, in der es heißt:
„Das erste Huhn, das Sie zu Tränen rührt“. Das „Huhn“, welches eineN
zu Tränen rühren soll, ist ein „pikantes Hendl mit Meerrettich garniert“.
Mit der Werbung soll also nicht gesagt sein, daß einer/einem die Tränen
kommen angesichts dessen, was einem bzw. mehreren Hühnern [a) es ist nicht
gesagt, daß der Flügel und das Bein auf dem Teller von ein- und demselben
Huhn stammen, b) es gibt bei Wienerwald nicht nur ein solches „Hendl“]
angetan worden ist. Vielmehr ist es als Kompliment gedacht. Jedoch gilt dieses
Kompliment keinen lebendigen Hühnern, es gilt ihnen erst, wenn sie tot/umgebracht
sind.
Karen Davis zeigt auf, daß ein Huhn durchaus be-rühren kann:
Eines der berührensten Sachen an Viva [ein Huhn] war
ihre Stimme. Sie pflegte immer mit ihrem schwachen „peep peep“ zu mir zu sprechen,
welches niemals etwas lauter wurde und von irgendwo aus dem Zentrum ihres Körpers
zu kommen schien, der zu genau der gleichen Zeit ihren Schwanz schwang. Außerdem
gab sie selten ein kurzes Trillern. Oft [...] saß ich und sprach mit ihr,
streichelte ihren wunderschönen Rücken und ihre Füße, die
zwischen den Zehen und an den Sohlen so weich waren, und sie führte den
Dialog mit mir fort, ihre Schwanzfedern in einer Art Einmütigkeit mit jeder
ihrer Äußerungen zuckend. (Davis 1990: 34)
Von diesem Zauber will Wienerwald nichts wissen: Die lebendigen
Hühner sind entzaubert worden - „ihren“ Zauber erhalten sie erst auf dem
Teller des Menschen, erhalten sie erst durch den Menschen, ist nicht
ihnen - ihrer Persönlichkeit - zu „verdanken“, sondern dem/der SchlachterIn,
dem Koch/ der Köchin und dem/der LeichenverschlingerIn.
Nichtmenschliche Tiere werden in unserer Gesellschaft also keineswegs „neutral“
wahrgenommen. Diese Wahrnehmung beruht z.T. auf Informationsdefiziten, so ist
es bezeichnend, daß VegetarierInnen/VeganerInnen häufig mehr über
die realen Lebensbedingungen von nichtmenschlichen Tieren wissen als „FleischesserInnen“.
Sie beruht jedoch vielmehr auf einer bewußten Verdrängung der Realität.
Ein Ausdruck davon sind auch viele der eben erwähnten Informationsdefizite.
VegetarierInnen/VeganerInnen haben zumeist keinen anderen Zugang zu Informationen
als „FleischesserInnen“. Doch während TierrechtlerInnen z.T. nahezu detektivisch
darum bemüht sind, sich zu informieren, nicht zuletzt, um diese Informationen
auf Flugblättern und an Informationsständen weiterzureichen, sind
viele „FleischesserInnen“ überhaupt nicht an diesen Informationen interessiert:
„Mußt Du mir das erzählen. Es verdirbt mir den Appetit!“.
Die Wahrnehmung von nichtmenschlichen Tieren und ihrer Lebensrealität
ist nicht von Nicht-Wissen-Können, sondern von Nicht-Wissen-Wollen geprägt.
Ich will mit dieser Feststellung nicht bestreiten, daß
viele Menschen z.B. tatsächlich nicht wissen, daß eine Kuh nur dann
Milch bildet, wenn sie ein Kind zur Welt gebracht hat oder daß die männlichen
Küken im Rahmen der Zucht von sog. Legehennen, d.h. also der sog. Eierproduktion,
erstickt oder vergast werden. Ich will damit auch nicht sagen, daß es
überhaupt nicht wichtig ist, Menschen darüber zu informieren, wie
es nichtmenschlichen Tieren ergeht, um Milch, Eier, „Fleisch“, „Leder“, ...
als Ware anzubieten. Aber mögen die Details über die Lebensrealität
der nichtmenschlichen Tiere auch der bzw. dem einzelnen nicht bekannt sein,
so erstaunt es sie nicht, daß nichtmenschliche Tiere zur Herstellung dieser
vermeintlichen Waren benutzt werden. Daß „Fleisch“ nicht auf Bäumen
wächst, sondern ein „Stück totes Tier“, präzise: ein Stück
eines durch einen Menschen getöteten nichtmenschlichen Tieres ist, schockiert
sie nicht. Daß der Elefant im Zirkus sich nicht dafür entschieden
hat, zu unserer Unterhaltung Kunststücke vorzuführen, kann ihnen nicht
den Spaß verderben. Der Gebrauch, ja selbst der von Menschen herbeigeführte
Tod von nichtmenschlichen Tieren, gilt als ein akzeptierter Teil des Lebens.
Demgemäß besteht die Überraschung nicht darin, daß nichtmenschliche
Tiere unterdrückt werden - auch wenn dies nicht unbedingt der Begriff ist,
der gewöhnlicherweise benutzt wird, um das Verhältnis von Menschen
zu den anderen Tieren auszudrücken, im Gegensatz zu dem gängigeren
Begriff der Herrschaft (in der Genesis) -, sondern die Überraschung ist
vielmehr die, daß eine bzw. einer einen Einwand dagegen hat: „Tiere sind
doch dafür da!“ heißt es lapidar!
Die Unterdrückung von nichtmenschlichen Tieren wird im allgemeinen als
„unser gutes Recht“ wahrgenommen. Schlachtvieh, so heißt es, sei da, um
geschlachtet und als Fleisch gegessen zu werden oder mit anderen Worten „Der
Lebenssinn eines Schweines ist es schließlich, Speck, Kotelett,... zu
sein!“. In unserer Gesellschaft wird in aller Regel überhaupt nicht darüber
geredet, wie wir dazu kommen, nichtmenschliche Tiere als Nutztiere und/oder
Schlachtvieh bzw. um den Bogen der Kritik weiter zu spannen, als Versuchstiere,
Pelztiere,... oder auch als Heimtiere zu benennen. Anders ausgedrückt:
Wir reden darüber, wer oder, um es in der dominanten Terminologie auszudrücken:
was (!) nichtmenschliche Tiere sind, anstatt darüber, wie wir zu dem Wissen
darüber kommen, wer sie sind! Wenn wir jedoch nicht darüber reden,
wie wir zu diesem Wissen kommen, können wir diese scheinbaren Wesens-Wahrheiten,
wie z.B. „Schweine sind Schlachtvieh“nicht in Frage stellen. Analog dazu wird
von dem/der „FleischesserIn“ auch nicht darüber geredet, wie er/sie zu
dem Wissen, zu der Erkenntnis kommt, daß er/sie keine AuftraggeberIn für
Mord ist.
Bereits in der sprachlichen Abgrenzung der Menschen von den (nichtmenschlichen)
Tieren wird der Wille, diese zu diskriminieren und zu beherrschen, bemerkbar.
So ist erstens ein entschiedener, absoluter Trennungsstrich zwischen
den Menschen und den Tieren gezogen worden. Dabei wird der Begriff „Tier“ in
aller Regel so benutzt, als seien Menschen damit nicht gemeint, als seien wir
keine Tiere. Bei dieser Unterscheidung zwischen Mensch und Tier geht es keineswegs
lediglich darum, den Gemeinplatz des u.a. biologischen Unterschieds zwischen
beispielsweise Menschen und Mäusen zu erwähnen, werden doch in die
Kategorie „Tier“ alle nichtmenschlichen Tiere aufgenommen und zwar ungeachtet
der ebenfalls unbestreitbaren Unterschiede zwischen beispielsweise Mäusen,
Schimpansen, Hühnern, Ameisen und Forellen. Ich erwähne dies nicht,
um auf die speziesistische Theorie von „höheren“ und „niederen“ Tieren,
an deren Spitze speziesistisch-logisch die „Krone der Schöpfung“, also
der Mensch steht, hinauszuwollen. Ich will vielmehr die Aufmerksamkeit darauf
richten, daß durch dieses generelle Reden von „den Tieren“ und „den Menschen“
einerseits die Unterschiede zwischen Mäusen und Elefanten, Mäusen
und Kühen, Elefanten und Kühen, ... eingeebnet werden und andererseits
die Menschen allein als einzigartig dargestellt werden.
Solch ein Begriff von „Differenz“ hat nichts mit der Einmaligkeit jedes Individuums
- ob Mensch oder nichtmenschliches Tier - zu tun, vielmehr wird mittels dieses
entschiedenen und absoluten Trennungsstriches zwischen den Menschen und den
nichtmenschlichen Tieren ein Begriff von Differenz oder Andersartigkeit hergestellt
und benutzt, bei dem „der Mensch“ als Norm gesetzt wird und alle nichtmenschlichen
Tiere als gleich anders als diese Norm gesetzt werden.
D.h. daß damit einhergehend zweitens Mensch und Tier als gegensätzliche,
dualistische Kategorien konstruiert worden sind: „Das Tier“ als Antithese „des
Menschen“. D.h. also, das Selbstverständnis - die kollektive Identität
- des Menschen konstituiert sich durch die Ausgrenzung nichtmenschlicher Tiere
in die Kategorie „Tier“. Simone de Beauvoir hat die Struktur dieser Konstruktion,
dieses Entwurfes der Subjektivität (bezüglich des Mann-Frau-Verhältnisses),
treffend beschrieben:
Das Subjekt setzt sich nur, indem es sich entgegensetzt;
es hat das Bedürfnis, sich als das Wesentliche zu bejahen und das Andere
als das Unwesentliche, als Objekt zu setzen. (de Beauvoir 1968: 11)
Nichtmenschliche Tiere sind in diesem Sinne „die Anderen“. Ein
prägnantes Kennzeichen dieser Ojektivierung nichtmenschlicher Tiere ist,
daß sich im allgemeinen nicht als „er“ oder „sie“, sondern als „es“ auf
sie bezogen wird. Mit ihrer Benennung als Objekte geht bereits strukturell ein
Mechanismus der Bewertung, eine Werte-Hierarchie einher. Diese zeigt sich z.B.
daran, wie wir über sie und uns sprechen/denken: Während das
Wort „human“ oder „menschlich“ geradezu als Synonym für das Edle, Hilfreiche
und Gute benannt wird, wird, wie bereits erwähnt, das „tierische“ als Synonym
für das Böseund Gewalttätige gesehen: Menschen, die anderen Menschen
z.B. Gewalt antun sind „wie Tiere“: Brutal, bestialisch, Schweine, Unmenschen,...
. Wir schreiben „den Tieren“ das zu, was wir bei uns nicht erkennen/sehen wollen.
Speziesismus ist aber mehr als die Diskriminierung und die Ausbeutung nichtmenschlicher
Tiere aufgrund ihrer bloßen Nicht-Zugehörigkeit, ihrer Nicht-Zuordnung
zur Gruppe Mensch. Die so oft in Diskussionen vernommene Aussage „Es sind doch
nur Tiere!“ ist neben der bloßen Zuordnung zur Klassifikation „Tier“ mit
einem ganzen Haufen anderer Zuschreibungen gegenüber nichtmenschlichen
Tieren verbunden. Speziesismus wird falsch verstanden, unzureichend kritisiert
und analysiert, wenn er dermaßen reduziert wird. Solch eine reduziertes
Verständnis davon, was Speziesismus (und somit auch Antispeziesismus!)
ist, kann tatsächlich sogar dazu führen, daß zumindest gewisse
Formen der Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere bzw. einiger Spezies, z.B. Tierversuche,
das Schlachten von Hühnern oder das Fangen und Erstickenlassen von Fischen,
als nicht speziesistisch angesehen werden. Ich kann und will - angesichts des
Themas dieser Veranstaltung - diesen Punkt an dieser Stelle leider nicht detailliert
erörtern, möchte hier aber auf viele Bio-EthikerInnen und auf den
v.a. im angloamerikanischen Raum unter TierrechtlerInnen äußerst
beliebten Philosophen Peter Singer, der u.a. ein Buch mit dem Namen Animal
Liberation (Befreiung der Tiere) verfaßt hat, hinweisen. Es wäre
z.B. ebenso zu kurz gegriffen, den Sexismus alleine auf die Zugehörigkeit
zur Gruppe Frau zu reduzieren. Dabei wird in vielen Diskussionen, z.B. um den
„Fleischkonsum“, offenbar, daß es sich um eine falsche, reduzierte Analyse
des Speziesismus, handelt. Zuerst wird dieser zwar häufig mit einem Satz
wie „Es sind ja nur Tiere!“ verteidigt, doch bei vertieften Auseinandersetzungen
sind dann Rechtfertigungen zu hören, die sich auf einen qualitativen Unterschied
zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren berufen: Unterschiedliche oder
fehlende Intelligenz, kluger schaffender Geist gegen dumpfe Existenz,... . Dabei
werden getreu einem dualistischem Denken, Qualitäten wie z.B. Verstand
oder Selbstbewußtsein oft nicht als graduelle Qualitäten gesehen,
sondern sie dienen als normative Statusmarkierungen.
Dementsprechend wurde und wird z.T. beispielsweise einzig Menschen Bewußtsein
bzw. Selbstbewußtsein zugeschrieben. René Descartes brachte es
auf die Formel: „Ich denke, also bin ich“, während er nichtmenschliche
Tiere, wobei er sich selbst auf die christliche Lehre der dem Menschen eigenen
unsterblichen Seele berief, zu „Körpern“ ohne Bewußtsein erklärte.
Das Schreien eines nichtmenschlichen Tieres vor Schmerz erklärte er demgemäß
zur automatischen Reaktion eines mechanischen Systems, vergleichbar mit dem
Quietschen einer Feder/eines Rades einer Uhr, doch wie Hans Ruesch fragt „Warum
also nicht den Wagen statt des Pferdes peitschen? Descartes nahm sich nie die
Mühe, das zu erklären.“ (Ruesch 1984: 21). Heute, wo selbst WissenschaftlerInnen
zunehmend nichtmenschlichen Tieren nicht grundsätzlich Bewußtsein
absprechen, wird immer wieder ein „neuer“ Gegensatz, eine angebliche Diskontinuität
gefunden, festgehalten und entdeckt (Werkzeuge, Sprache, Grammatik), an der
die „Andersartigkeit“ (aller) nichtmenschlicher Tiere, respektive deren Bewußtsein
(und damit zusammenhängend auch ihrer Emotionen) festgemacht wird oder
wie es Lynda Birke ausdrückt:
Die Grenzen verlagern sich von Zeit
zu Zeit, so wie jedes Charakteristikum in Frage gestellt wird und dessen Existenz
in irgendeiner Form bei einer anderen Spezies gezeigt wird; aber sie dienen
immer noch dazu, um zu demarkieren, um die harte Linie zwischen „Menschen“ und
„anderen Tieren“ zu ziehen. (Birke 1995: 38)
Diese Andersartigkeit setzt wie gesagt den Menschen als Norm,
als Maß, an dem die anderen Tiere gemessen werden. Auch viele vorgeblich
antispeziesistische TheoretikerInnen (z.B. Peter Singer und Tom Regan, um die
beiden Bekanntesten zu nennen) und viele TierrechtlerInnen - m.E.nicht zuletzt
aufgrund des Mangels an alternativen, nicht reduzierenden ethischen Theorien
- beziehen sich auf einen objektivierenden Begriff von Differenz, von Andersartigkeit,
indem sie in ihrer Ethik (z.T. bestimmte) Menschen als Norm setzen. Um den Einlaß
in die moral community, d.h. in die moralische Gemeinschaft zu erhalten, müssen
nichtmenschliche Tiere bestimmte Kriterien erfüllen. Sie müssen letztendlich
so sein wie wir - die Norm - wobei dieses wir, je nachdem, wer die Speziesgrenze
bewacht, die einen oder anderen Menschen ein- oder ausschließen kann (z.B.
sog. Behinderte). Legale und illegale „EinwanderInnen“ in diese moralische Gemeinschaft
können demnach auch jederzeit, d.h. wenn sie keinen anerkannten Paß
- die Erfüllung bestimmter Kriterien - vorzeigen können, wenn ihnen
ihre Aufenthaltsgenehmigung entzogen worden ist, wieder ausgewiesen werden.
Das beste Beispiel, was mir zur Verdeutlichung der Orientierung an dem Menschen
als Norm einfällt, ist das Great Ape Project, welches hierzulande
unter dem eindeutigen Schlagwort Menschenrechte für Menschenaffen
bekannt geworden ist. (Ich möchte an dieser Stelle anmerken, daß
ich dennoch zu diesem Zeitpunkt keine klare Position bezüglich dieses Projekts
habe, bei aller bislang geäußerten Kritik an „speziesistischen AntispeziesistInnen“,
wie z.B. Tom Regan, ist diese solidarisch gemeint, wenn die dahinter steckende
Motivation die ist, z.B. das Schlachten von Tieren zu stoppen! Apropro, falls
es denn gesagt werden muß: Die Zeiten in denen ich glaubte, daß
ich nicht mehr speziesistisch denken, handeln, ... würde, sindvorbei.)
Ein anderes Beispiel wäre der (erfolgreiche) Versuch Menschenaffen unsere
Sprache beizubringen, anstatt zu versuchen, ihre Sprache/ihre Kommunikation
zu erlernen.
Der Mensch-Tier-Dualismus, der Speziesismus, kann nur im Kontext von untereinander
zusammenhängenden, d.h. sich gegenseitig beeinflussenden, verstärkenden
und untermauernden Dualismen, die das patriarchale westliche Denken durchdringen,
verstanden werden. So werden Menschen und nichtmenschliche Tiere über die
Dualismen/entlang den Linien Kultur - Natur, Freiheit - Notwendigkeit, zivilisiert
- primitiv, Intelligenz - Instinkt, Verstand/Geist/Seele-Körper, Produktion
-Reproduktion, ... konzeptionell definiert.
Speziesismus befindet sich auch ansonsten nicht im gesellschaftlichen Vakuum.
Es sind nicht alleine die konzeptionelle Objektivierung, das Subjekt-Objekt-Denken
und die soeben benannten Dualismen, die den Speziesismus mit dem Sexismus, Rassismus
und jeder anderen Form der Unterdrückung verbinden, sondern sie sind auch
untereinander verflochten. So ist z.B. die Unterdrückung von Frauen bzw.
von farbigen Menschen häufig mit einem auf Speziesismus beruhenden Diskurs
(als Eins) verbunden: Es wird gesagt, sie seien nichtmenschliche Tiere, sie
seien wie nichtmenschliche Tiere bzw. sie seien den nichtmenschlichen Tieren
näher als den Menschen - kurzum das Konzept von dem Tier/der Bestie dient
auch als Rechtfertigung, um menschliche Gruppen als Andere zu diskriminieren
und auszubeuten. Umgekehrt machen auch diese Formen der Unterdrückung vor
der „Speziesgrenze“ nicht halt. Ich will dies hier exemplarisch aufzeigen:
Ein Großteil der heutigen Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere, hier wäre
beispielsweise an ihre Haltung in Fabrik-Bauernhöfen, an ihre biotechnologische
Man(n)ipulation und Patentierung zu denken, erfolgt nach kapitalistischen Kriterien.
Jeremy Rifkin verweist darauf, daß bereits die Wörter „Vieh“ und
„Kapital“ in vielen europäischen Sprachen dieselbe etymologische Wurzel
haben (vgl. Rifkin 1992: 28). Nichtmenschliche Tiere wurden und werden nach
wie vor als Eigentum/Ware - ob lebendig oder tot - angesehen.
Nichtmenschliche Tiere werden im allgemeinen nach rassistischen Kriterien gezüchtet.
So werden z.B. nichtmenschliche Tiere für die Fabrik-Bauernhöfe als
„Qualitätstiere“ zweckgezüchtet, z.B. Hühner nach Legeleistung
oder nach „Fleischansatz“. Bei der Zucht nichtmenschlicher Tiere wird der einen
jeden Zucht inhärente Sexismus, die weiblichen Tiere werden quasi als Gebär-/Legemaschinen
benutzt, besonders offensichtlich.
Der Speziesismus ist nicht „bloße“ Herrenideologie, ist aber andererseits
- zumindest (!) heutzutage - auch nicht auf die binäre Opposition zwischen
Menschen und nichtmenschlichen Tieren zu reduzieren, vielmehr ist der Speziesismus
eine Herrenmenschenideologie.
Menschen jedoch werden niemals speziesistisch unterdrückt oder anders formuliert
und, um an den Anfang dieses Kapitels zu erinnern, werden niemals „wie Tiere
behandelt“! Ihre Unterdrückung unterscheidet sich dabei nicht nur darin,
daß sie in der Regel nicht gegessen werden. Die Unterdrückung
von Menschen unterscheidet sich prinzipiell, auch in puncto rassistischer, sexistischer,
... Unterdrückung von der nichtmenschlicher Tiere:
Es wird konventionell gesagt, daß Unterdrückung
entmenschlicht, daß sie Menschen auf den Status von Tieren reduziert.
Aber Unterdrückung kann Tiere nicht dehumanisieren. Tiere existieren kategorisch
als das, was nicht menschlich ist; es wird nicht anerkannt, daß sie menschliche
Eigenschaften, die ihnen dann aberkannt werden können, haben: Die Anmaßung
einer ontologischen [ d.h. in etwa: wesensmäßigen] Abwesenheit von
solchen menschlichen Eigenschaften hat Tiere a priori als nichtmenschlich definiert.
(Adams 1994: 77)
D.h. nichts anderes, als daß (unter dem Blick des speziesistischen
Subjekts) nichtmenschliche Tiere schon von vornherein den Objekt-Status haben/entmenschlicht
sind, d.h., sie müssen erst gar nicht objektiviert werden. Sie sind sozusagen
Andere Andere - ihre Unterdrückung ist ein Gemeinsinn.
In der von Max Horkheimer mit der Metapher eines Wolkenkratzers beschriebenen
Klassengesellschaft sind demgemäß die nichtmenschlichen Tiere nicht
etwa im untersten Stock, sondern im Keller, präzise im untersten Kellerraum
untergebracht. Sie sind also in den Räumen, die von außen betrachtet
übersehen werden (können) und als nicht existent erscheinen:
Unterhalb der Räume [...] wäre dann das unbeschreibliche,
unausdenkliche Leiden der Tiere, die Tierhölle in der menschlichen Gesellschaft
darzustellen, der Schweiß, das Blut, die Verzweiflung der Tiere [...].
Dieses Haus, dessen Keller ein Schlachthof [...] ist, gewährt in der Tat
aus den Fenstern der oberen Stockwerke eine schöne Aussicht. (Horkheimer
1934: 132 - 133)
D.h. Horkheimer erinnert hier - bereits im Jahre 1934, d.h.
also zu einer Zeit, wo die sog. Nutztiere noch nicht in Fabrik-Bauernhöfen
untergebracht waren, in denen sie und das, was ihnen angetan wird, tatsächlich
für den Großteil der Menschen unsichtbar geworden ist - an unsere
Wahrnehmung der Realität als eine heile Welt.
Doch die Gewalt gegen nichtmenschliche Tiere ist nichtsdestotrotz real.
Gewalt ist nicht auf die sog. Auswirkungen, d.h. auf die sog. physische undsog.
psychische Gewaltzu reduzieren, sondernbeinhaltet die dafür fundamentale,
d.h. die vorbereitende - in Gedanken vollzogene - Gewalt, die ich als konzeptionelle
Gewalt bezeichne. So rutscht uns unsere Hand nicht mal eben so aus, sondern
wir entscheidenuns dazu, zuzuschlagen und die- bzw. denjenigen, die/den wir
schlagen wollen , als schlagbar/verletzbar anzusehen. Ich will dies beispielhaft
verdeutlichen:
Der Tod eines Schweines ist schon beschlossene Sache, bevor der Schlachter bzw.
- seltener - die Schlachterinsie/ihn tatsächlich umgebracht hat. In unserer
Vorstellungswelt - sehen wir an dieser Stelle,zwecks der Wiedergabe der dominanten
Sichtweise, von derder VegetarierInnenundVeganerInneneinmal ab - ist ein Schwein
schon gestorben, bevor sie/er geboren wird: Sie/Er ist Fleisch, bevor sie/er,
zumeist einzelne Leichenteile von ihr/ihm, auf dem Teller liegt. Es ist nicht
nur die Stromzange und der Schnitt in den Hals, der sie/ihn getötet hat.
Es ist vielmehr unsere Kategorisierung als Schlachtvieh, die sie/ihn in denSchlachthof
gebracht hat. Es ist unser „Blick“, der die Integrität dieses nichtmenschlichen
Tieres bereits verletzt, ja ausgelöscht hat, bevor das Messer des Schlachters
bzw. der SchlachterinunsereGedanken (einschließlich seiner/ihrer eigenen)
umgesetzt hat, sie hat tödliche Realität werden lassen. Es zeigt sich,
daß Blicke buchstäblich töten können.
An diesem Beispiel zeigt sich deutlich, daß auf der Grundlage einerStrukturdes
Selbst als Subjekt in Beziehung zu einem Objekt ein Machtverhältnis etabliert
wird und die Beziehung somit grundsätzlich eine der Gewalt ist, wobei es
prinzipiell keinen Unterschied macht, wie das Subjekt dabei das Objekt behandelt.
Gemäß diesem Subjekt-Objekt-Denken sind nichtmenschliche Tiere instrumentalisiert
und dementsprechend nach Nützlichkeitskategorien, die als ihre Wesens-Wahrheiten
ausgegeben werden, eingeteilt und benannt worden: Als Schlachtvieh, als Nutztiere,
als Versuchstiere, als Pelztiere, als Heimtiere,.... . Sie werden zu Fleisch
gemacht, bekommen den Status als Produktionseinheiten, werden zu Modellen erklärt,
werden als Therapiemittel und als Sportgeräte angesehen, gelten als Unterhaltungsquellen,
werden als Schmuckstücke und Lieblinge zur Herzenssache erklärt, als
Spielzeug gekauft und weggeschmissen,...
Daß nichtmenschliche Tiere als nutzbar angesehen werden, hat also nicht
mit ihrem Sein, sondern mit dem Bewußtsein von Menschen mit einem speziesistischem,
objektivierendem Selbstverständnis zu tun, d.h. es ist ein soziales Konstrukt,
keine Wesens-Wahrheit.
Dies festzustellen heißt jedoch nicht, eine Position zu vertreten, nach
der wir überhaupt nichts über nichtmenschliche Tiere wissen, eine
Position, an die interessanterweise im Verlauf von Diskussionen mit „FleischesserInnen“
immer wieder erinnert wird: „Woher willst Du das wissen?“.
In unserer Gesellschaft wird immer wieder eine sog. Objektivität eingefordert.
Es wird gesagt, daß, um die Wahrheit zu „entdecken“, Gefühle/das
Emotionale und Gedanken/das Rationale voneinander getrennt werden müssen.
Es wird behauptet, daß dies möglich sei. Das Emotionale, so wird
gesagt, ist der Störfaktor auf dem Weg zu der Erkenntnis der Wahrheit,
ihm müßte mißtraut werden. Gemäß dieser Erkenntnislehre
ist einzig unser Verstand für Wissen zuständig, während unser
Leib, der zum bloßen Körper, zur Hülle unseres wahren Ichs erklärt
worden ist, als unwissend oder sogar als trügerisch gilt.
Konsequent rational-logisch müßte allein das eigene Ich mit seinen
Bewußtseinsinhalten als das einzig Wirkliche gelten, die rationalistische
Erkenntnislehre müßte solipsistisch sein, ja im Endeffekt gäbe
es überhaupt kein Wissen, alles Wissen, jede Erkenntnis wäre ein Konstrukt,
da ja das Denken streng vom Subjektiven getrennt werden soll. Rein rational-logisch
ist es, um nur zwei Beispiele zu nennen, noch nicht einmal zu widerlegen, daß
ein Huhn eine Legemaschine ist oder daß nichtmenschliche Tiere nicht fühlen.
Tatsächlich sind jedoch auch scheinbar noch so „rationale“ (ethische) Regeln
und Ideen nicht von bestimmten Gefühlen zu trennen: Rein rational kann
z.B. keineR wissen, daß ein anderer Mensch fühlt, geschweige denn,
was er/sie sie fühlt. Trotzdem würde wohl kaum eineR, traditionell-rationalistische
WissenschaftlerInnen eingeschlossen, eine solche solipsistische Position gegenüber
anderen Menschen einnehmen. Wenn es um nichtmenschliche Tiere geht, ist eine
gewisse Form des Solipsismus, der Spezies-Solipsismus, bei dem das Ich durch
ein Wir - d.h. das kollektive Wir der Menschheit - ersetzt worden ist,heutzutage
ebenso an der Tagesordnung, wie es „Fleisch“ aufder Speisekarte ist. Barbara
Noske macht auf die ideologische Basis dieses Spezies-Solipsismus aufmerksam:
Ich habe mich immer darüber gewundert, wie Menschen
[...] sich so sicher über ihre eigene Fähigkeit, die tierlichen
Unfähigkeiten beurteilen zu können, sein können. Menschen
geben vor, von innen zu wissen, daß sie selbst bestimmte Fähigkeiten
besitzen und von außen zu wissen, daß Tiere sie nicht besitzen.
(Noske 1989: 78)
So wird dem Self-made-(hu)man ein Nature-made-animal gegenübergestellt.
In bezug auf die nichtmenschlichen Tiere sind heutzutage in aller Regel selbst
diejenigen BiologistInnen, die biologistisch-essentialistische Positionen bezüglich
intramenschlicher sozialer Unterschiede vehementkritisieren. Was die Biologie,
die „Tierwissenschaft“ in bezug auf nichtmenschliche Tiere vorgibt, wird von
den Sozial-/GeisteswissenschaftlerInnen, also der „Menschenwissenschaft“ zumeist
reproduziert. Das Soziale und das Kulturelle wird von ihnen demgemäß
zumeist als exklusiv menschlich benannt, während alles bei nichtmenschlichen
Tieren - auch ihr „Verhalten“ - als biologisch benannt wird. Oder um es nochmals
mit den Worten von Barbara Noske zu sagen:
SozialwissenschaftlerInnen versäumen zu verstehen,
daß die Vorstellung von Tierheit, wie sie von den Tierwissenschaften übermittelt
wird, durchaus eher ein ent-tierlichtes biologisches Konstrukt als ein Spiegel
der tierlichen Realität ist. [...] Die anthropozentrischen Sozialwissenschaften
betrachten [...] Menschen als tierliche physische Basis + ausschlaggebende Ergänzung.
Diese Sichtweise verwandelt Tiere automatisch in reduzierte Menschen, die mit
uns nur auf einer physischen Ebene vergleichbar sind. (Noske 1989: 88)
Die ganze Paradoxie des Spezies-Solipsismus wird in der folgenden
Erzählung/Weisheit exemplarisch deutlich:
Über zweieinhalb Jahrtausende ist es her, daß
der weise Kuan Tse sagte: „Siehe, wie glücklich sind die Fische im Wasser!“.
Sein Begleiter aber meinte: „Woher weißt du, daß sie glücklich
sind, du bist nicht ein Fisch?“ und Kuan Tse erwiderte: „Woher weißt du,
daß ich es nicht weiß, du bist nicht ich?“ (Erich v. Holst zitiert
nach Teutsch 1987: 62)
Gerade ein Nicht-Ausschluß des Emotionalen - welcher nicht
damit gleichzusetzen ist, Emotionen per se als „gut“ anzusehen - die Absage
an ein dualistisches Weltbild ermöglicht es uns, Wahrheiten zu erkennen:
Der Leib, die Sinne und die Gefühle sind eine Quelle der Erkenntnis. Ich
mache mir Gedanken, aber das heißt doch nicht, als Geist außer-
und oberhalb meines Körper zu schweben. Ich habe Gefühle, aber deshalb
habe ich meinen Kopf nicht abgetrennt und entmaterialisiert oder anders formuliert,
vergeistigt. Ich kann durch mein Denken fühlen und durch mein Fühlen
denken! Empathie ist z.B. nicht in einer der beiden Kategorien Ratio und Emotion
zu fassen, sie stellt unser Miteinander nicht ein Gegen-Andere ins Zentrum der
Erkenntnis.
Emotionen - z.B. „outlaw emotions“, d.h. geächtete Emotionen - wie z.B.
Wut, Abscheu, Angst, Empörung, ... mögen z.B. als Antwort auf den
„Transport“ von Kühen zum Schlachthof oder auf das Einsperren von Hühnern
in „Legebatterien“ indizieren, daß etwas an vermeintlichen Tatsachen nicht
stimmt, daß sie konstruiert worden sind. Sie können dominante Konzeptionen
des Status quo herausfordern, indem angemessene Emotionen zur Entwicklung von
Wissen beitragen und das Anwachsen von Wissen wiederum zur Entwicklung von angemessenen
Emotionen beiträgt, wir scheuen Erkenntnis, verstecken uns vor der Wahrheit,
indem wir diese ausschließen (vgl. Adams 1994: 187/188).
Keine Frage, unser Wissen über nicht-menschliche Tiere ist nicht absolut,
kategorisch und universell. Doch diese Wissensgrenze verläuft tatsächlich
nicht zwischen den Menschen und den nichtmenschlichen Tieren, nicht zwischen
uns und ihnen, sondern zwischen mir und Dir. Dennoch ist es nicht so, daß
wir nichts über nichtmenschliche Tiere wissen: Wir wissen, daß die
Maus, die im wissenschaftlichen Labor seziert wird und stirbt, keine Maschine,
mehr als die Summe ihrer „Einzelteile“, ist. Wir wissen, daß sie durch
deren Zusammensetzung nicht wieder lebendig wird. Wir wissen, daß Schweine,
Hühner, Rinder, ... nicht zu „Fleisch“/“Geflügel“ werden wollen, daß
sie nicht umgebracht werden wollen; wir wissen, daß der Fisch am Haken
des Anglers Schmerzen hat; wir wissen, daß nichtmenschliche Tiere nicht
„einfach ein Paket von territorialen und anderen Trieben, sondern komplexe Entscheidungen
treffende Lebewesen, die sich mit ihrer Umgebung beschäftigen“ (Birke 1994:
112) sind, ...:
Welche Grenzen es auch immer gibt, um die Standpunkte von
anderen Tieren zu kennen, wir können wissen, was ihnen etwas ausmacht,
ist, daß wir aufhören, sie zu definieren und zu benutzen. Wir können
niemals in bezug zu allen Tieren sein, noch müssen wir es sein, aber wir
können daran arbeiten, daß alle Tiere davon befreit werden, daß
sie als nutzbar ontologisiert werden. (Adams 1994: 197)
Allzuoft wird darüber diskutiert, ob z.B. die sog. Massentierhaltung
oder auch bestimmte Schlachtmethoden des sog. Schlachtviehs oder des sog. Schlachtgeflügels
grausam sind, und es wird nach Alternativen gesucht, die nicht (so) grausam
seien. Doch was das eigentliche Unrecht, die eigentliche Grausamkeit des „Fleischhandels“
ausmacht, das ist nicht der Schmerz, das Leid, die Deprivationen, der gewaltsame
Tod der „Schlachttiere“. Das alles sind nur Komponenten des eigentlichen Unrechts,
der eigentlichen Grausamkeit. Das eigentliche Unrecht besteht darin, Kühe,
Schweine, Hühner, Puten, ... und viele andere Individuen verschiedener
Tierarten als Schlachttiere zu kategorisieren und zu stigmatisieren. Oder mit
anderen Worten: Wenn die Stigmatisierung von Tieren zu Schlachttieren an und
für sich nicht grausam sein soll, wie kann mensch dann überhaupt von
Grausamkeit sprechen?
Eine fundamentale Absage an Gewalt und Herrschaft muß von daher auch dort
ansetzen, wo sie konzipiert werden.
Sprache ist keineswegs prinzipiell neutral, sie ist eine Form der Darstellung.
Ich habe bereits aufgezeigt, daß die dominante Sprache in unserer Gesellschaft
eine zutiefst speziesistische ist. Durch die speziesistische Sprache wird zum
einen konzeptionelle Gewalt/Macht über nichtmenschliche Tiere ausgeübt,
die - wie geschildert - ganz und gar nicht harmlos ist. Zugleich ist in einer
Gesellschaft/Kultur, in der die Unterdrückung nichtmenschlicher Tiere -
wie aufgezeigt - schon soweit akzeptiert ist, daß sie zumeist schon gar
nicht mehr als Unterdrückung wahrgenommen wird, die Sprache nicht zuletzt
auch zur Vermittlung dieser Akzeptanz strukturiert. Sie ist also auch ein Mittel
zur Aufrechterhaltung der Herrschaft.
Sprache ist dabei nicht nur ein Mittel, um das, was wir als Individuen
denken und fühlen zum Ausdruck zu bringen, sondern sie wird uns beigebracht,
und in der Sprache, die uns beigebracht wird/die wir lernen, sind nicht zuletzt
auch „soziale Erfahrungen und Vorstellungen“ (Mütherich 1995: 47) inklusive
Herrschaftsverhältnisse gespeichert. Die dermaßen internalisierten
Herrschaftsverhältnisse können (später) angesichts eigener
Erfahrungen/Vorstellungen kritisch hinterfragt werden und die Sprache kann verändert
werden.
In unserer speziesistischen Gesellschaft wird ein solcher Prozeß aber
dadurch erschwert, daß sowohl die nichtmenschlichen Tiere selbst als auch
die Gewalt, insbesondere die lebensbeendende Gewalt, die gegen sie ausgeübt
wird, oftmals hinter Mauern und verschlossenen Türen (z.B. der Fabrik-Bauernhöfe
bzw. der Laboratorien und Schlachthöfe) im buchstäblichen Sinn aus
dem Blick vieler Menschen entfernt worden sind. So wurde z.B. Jeff Juliano,
der in Werbespots für Mc Donalds den Part des Clowns spielte, zum Vegetarier,
nachdem er erfuhr, daß die sog. Hamburger keineswegs auf Plantagen geerntet
werden, wie es in dem Werbespot, in dem er auftrat, suggeriert wurde (vgl. Robbins
1987: 129). D.h. aber nicht, wie bereits des öfteren betont, daß
dies die Regel ist, die meisten Menschen wissen, daß „Fleisch“ nicht auf
Bäumen wächst!
Der Begriff Fleisch ist selbst auch keineswegs neutral und akkurat, in ihm ist
vielmehr in der Sprache das institutionalisiert worden, was bereits durch die
Schlachtung und Zerstückelung erreicht worden ist:
Objekte fühlen nicht(s). Objekte sprechen nicht. Objekte sehen nicht. Objekte
haben keinen eigenen Willen - sind willenlos. Objekte existieren, um den Bedürfnissen
von Subjekten zu dienen.
„Fleisch“ fühlt nicht(s) mehr. „Fleisch“ spricht nicht mehr.
„Fleisch“ sieht nicht mehr. „Fleisch“ hat keinen eigen Willen mehr.
„Fleisch“ dient dazu, den Gaumen eines Menschen zu kitzeln.
Liegt das „Fleisch“ auf dem Teller, so ist das nichtmenschliche Tier, welches
dafür umgebracht worden ist, endgültig zum Objekt gemacht worden,
ein Stück „Etwas“: Fleisch genannt. In der Sprache ist diese Vorstellung
von Fleisch als einem Etwas institutionalisiert worden: „Es“ ist konzeptionell
von dem dafür umgebrachten nichtmenschlichen Tier abgetrennt worden. So
wird „Fleisch“ abstruserweise als ein „Stück Lebenskraft“ (der Werbeslogan
der Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft ist als Allgemeinwissen
Kulturgut geworden), nicht als ein Stück eines toten, genauer: ermordeten,
nichtmenschlichen Tieres bezeichnet und wird nicht als Leiche, als einE ToteR
benannt. Carol J. Adams fragt vollkommen zu Recht:
Sollten wir uns überhaupt auf einen abgeschlachteten
Teil eines Tierleibes als ein „es“ beziehen? Ist Fleisch ein „es“? Ist die Entscheidung,
Fleisch als „Es“ zu bezeichnen, nicht die finale Kapitulation vor der dominanten
Realität, die reale Tiere unsichtbar macht und Gewalt verdeckt? (Adams
1990: 64)
In dem Konzept von Fleisch sind die nichtmenschlichen Tiere
zugleich in zweierlei Hinsicht - buchstäblich und definitorisch - eliminiert
worden. Carol J. Adams hat, um diesen Vorgang zu bezeichnen, in The Sexual
Politics of Meat das Konzept des „absent referent“ entwickelt (Adams 1990:
40). Nichtmenschliche Tiere sind zum einen abwesende ReferentInnen, da sie tot
sind. Dies ist essentiell für „Fleisch“: Die Grundbedingung für „Fleisch“
ist, daß ein individuelles, einzigartiges und unverwechselbares nichtmenschliches
Tier gelebt hat und gestorben ist. Solange sie/er lebt, können ihre/seine
Leichenteile nicht gegessen werden. Zum anderen werden nichtmenschliche Tiere
durch die Sprache, die ihren Leichnam, ihren toten Körper bzw. Teile davon
umbenennt, bevor sie von Menschen gegessen werden, zu abwesenden ReferentInnen
gemacht: Schnitzel, Kotelett, Steak, Schinken, Speck, Hamburger, Geflügel,
... . Auch dort, wo scheinbar noch der Bezug zu dem nichtmenschlichen Tier gegeben
ist, zeigt sich bei genauerer Betrachtung, daß sie/er auch hier definitorisch
abwesend gemacht worden ist. Tatsächlich ist hier die Konzeption von Fleisch
als einem austauschbaren Etwas - ohne jede Spezifität - besonders eklatant.
So wird nicht von dem Fleisch eines nichtmenschlichen Tieres gesprochen, sondern
ganze Kategorien von nichtmenschlichen Tieren - entweder einer Spezies oder
einer „Subkategorie“ einer Spezies, z.B. Babies - werden über Fleisch definiert:
Wir sprechen von „Kalbfleisch“, nicht vom Fleisch eines Kalbes, ... .
Um zusammenzufassen: Durch den Begriff Fleisch sind also nichtmenschliche Tiere
un(er)kenntlich und unsichtbar gemacht worden, die lebendigen nichtmenschlichen
Tiere sind - wie durch die Schlachtung und Zerstückelung - eliminiert worden
- deshalb setze ich, wenn ich nicht von Tierleichenteilen o.ä. spreche,
Fleisch in Anführungszeichen. D.h. aber wiederum nichts anderes, als daß
der (gewaltsame) Tod der nichtmenschlichen Tiere wegdefiniert worden ist!
Bei Hühnern und Fischen ist dieses Wegdefinieren besonders eklatant sichtbar:
In den Statistiken der „Fleisch“-/“Fisch“-Industrie sind sie nicht mehr als
Individuen wiederzuerkennen, sondern diese, ihre wahre Identität, ist durch
das Warenmaß Tonnen abwesend gemacht worden. Zwar wird bei Hühnern
und bei Fischen oft davon gesprochen, ein (halbes) Hähnchen bzw. einen
Fisch - Hecht, Aal, Lachs, Forelle, ... - zu essen oder haben zu wollen, aber
auch hier wird die Wahrheit vom Tod (zumindest) eines nichtmenschlichen Tieres
unterschlagen (ein halbes Hähnchen kann nunmal nur ein halbes totes Hähnchen
sein!).
Mit der Rhetorik von Fleisch, ... wird verleugnet, daß dem eine Gewalttat
mit Opfer und TäterIn/TäterInnenzugrundeliegt.
Um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern, muß auch die
Sprache geändert werden.
In unserer Sprache ist die Darstellung nichtmenschlicher Tiere als die Anderen
manifest, um so „unter der Diversität der Worte die vollkommene Identität
der Sache zu verstecken ...“ (Schopenhauer zitiert nach Teutsch 1987: 191):
Nichtmenschliche Tiere sind „trächtig“ und „werfen“ - menschliche Frauen
sind schwanger und gebären, nichtmenschliche Tiere „verenden“/“gehen ein“
- Menschen sterben, nichtmenschliche Tiere „fressen“ - Menschen essen, nichtmenschlichtierliche
Leichen sind „Kadaver“, „Aas“, „Fleisch“, ... menschliche Leichen sind Leichen,
... .
Um unsere Sprache auf ihren diskriminierenden bzw. nichtdiskriminierenden Charakter
zu untersuchen, ist eine Übertragung des entsprechenden Begriffs in den
menschlichen Kontext sinnvoll. Demgemäß ist „Fleisch“ nicht Nahrung,
sondern Mord! Oder, um es mit Parolen aus der Tierrechtsbewegung zu sagen: „Fleisch
ist Mord! Hört die Wahrheit!“ oder „Tiere sind keine Lebensmittel, sondern
Lebewesen!“.
Es erscheint erst einmal sonderbar - gerade wenn mensch die gängisten intrahumanen
Herrschaftsformen/-verhältnisse als Maß nimmt -warum Menschen die
Leichen nichtmenschlicher Tiere essen, ist es doch so, daß sie bereits
durch die Elimination, d.h. den Mord, diese vollkommen und absolut beherrscht
haben und über (diese) Tote(n) keinerlei reale Macht mehr ausüben
können. Doch eine genauere Betrachtung zeigt Gegenteiliges: Es - das „Fleischessen“,
diese Nekrophagie - ist nicht sonderbar, sondern wahrhaft fürchterlich
konsequent. Denn Herrschaft zielt nicht darauf ab, über z.B. einen Tisch
oder einen Stuhl zu herrschen, ihr primäres Ziel ist es auch nicht, Leid
zuzufügen, sondern sie zielt im Kern darauf ab, den Lebenswillen eines
nichtmenschlichen Tieres bzw. eines Menschen auszulöschen, d.h., sie/ihn
willen-los zu machen. Dabei ist die Macht total, wenn sie/er keinen eigenen
Willen mehr hat. Letztendlich ist dies aber nur durch die Elimination der-/desjenigen,
d.h. durch Mord zu erreichen. Demnach hat Herrschaft eine nekrophile Tendenz.
Auch das Essen von „Fleisch“, d.h. also von den Leichenteilen (ermordeter) nichtmenschlicher
Tiere, muß gerade in diesem Kontext, in dem Kontext der Machtausübung
betrachtet werden. Heute werden die Leichenteile der eines „natürlichen
Todes“ gestorbener nichtmenschlicher Tiere als ungenießbar/uneßbar
betrachtet, wobei als Begründung angebliche hygienische Gründe vorgeschoben
werden (vgl. Fiddes 1993: 106/107). D.h. also, ihre Leichenteile gelten einzig
dann als eßbar, wenn sie von Menschen ermordet worden sind: „Der Tod muß
in den Händen von Menschen liegen.“ (Fiddes 1993: 107)
Wie Nick Fiddes nicht nur anhand dieses Beispiels zeigt, wird „Fleisch“ nicht
trotz der Unterwerfung nichtmenschlicher Tiere so geschätzt, sondern
gerade wegen dieser Unterwerfung - als besonderer Ausdruck der Macht
des Menschen (vgl. Fiddes 1993). Symbolisch dient das Verschlingen von „Fleisch“
als Verkörperung der Kontrolle über die „Wildnis“ und als ultimativer
Machtbeweis und Machtbestätigung der Menschen, als totale Vernichtung (und
Aufnahme) der/des Anderen:
Verzehr ist die Erfüllung von Unterdrückung, die
Vernichtung des Willens, der eigenständigen Identität. (Adams 1990:
47)
Daß „Fleischessen“ als ein Ausdruck der Macht des Menschen
geschätzt wird, mag zwar heutzutage nicht (so unverhohlen wie im Alten
Testament) ausgesprochen werden, aber d.h. nicht, daß es in dieser Hinsicht
unbedeutend ist - wie Nick Fiddes feststellt:
Die Tatsache, daß die meisten von uns sich wenig mit
der Willkürherrschaft beschäftigen, die darin liegt, daß Tiere
nur mit dem Ziel aufgezogen werden, sie zu schlachten, zeigt nicht, daß
sie für uns unwichtig ist. Im Gegenteil. Das, was über Fleisch ungesagt
bleibt, enthält eine zusätzliche Bedeutungsdimension, die eine äußerst
starke Wirkung hat. Die mit dem Fleischsystem verbundenen Werte werden gerade
deshalb so wirkungsvoll übermittelt, weil sie als Selbstverständlichkeit
erscheinen. (Fiddes 1993: 63)
Der Großteil der Gewalt gegen nichtmenschliche Tiere in
unserer Gesellschaft wird nicht von Menschen ausgeübt, die als EinzeltäterInnen
bezeichnet werden können, sondern Gewalt gegen nichtmenschliche Tiere ist
in unserer Gesellschaft institutionalisiert, gilt sozusagen als eine Selbstverständlichkeit.
Dabei erfolgt die meiste Gewalt aus zumindest vordergründig ökonomischer
Motivation, aber sie ist in unserer Gesellschaft nicht allein ein fester Bestandteil
dessen, wie Geschäfte gemacht werden, sondern desweiteren auch dessen,
wie Probleme „gelöst“ werden und nicht zuletzt, wie Spaß gehabt wird.
Als Gesellschaft/Kollektiv verurteilen wir, zumindest verbal - vergleichbar
mit der Diskrepanz in bezug auf den sog. Kindesmißbrauch -, offen solche
individuellen Gewaltaten von EinzeltäterInnen - auch wenn der Begriff Gewalt
selten benutzt wird, sondern der der Tierquälerei - während die institutionalisierten
Gewalttaten, die zudem zumeist eindeutigkalkuliert sind und hinter denen auch
Menschen als Individuen stehen, nicht verurteilt werden. Dabei wird die institutionalisierte
Gewalt gegen nichtmenschliche Tiere oft nicht „allein“ stillschweigendgebilligt,
sondern wird auch darüber hinaus aktiv unterstützt, z.B. durch den
Auftrag zur Gewalt oder durch die unmittelbare nicht-konzeptionelle Ausübung/Anwendung
von Gewalt.
Es ist letztendlich irrelevant darüber zu diskutieren, ob die nichtmenschlichen
Tiere, die durch Menschen umgebracht werden, dabei gequält werden oder
nicht, oder anders ausgedrückt, allein der Tierquälerei - ohne an
dieser Stelle detailliert darauf einzugehen wie der Begriff Tierquälerei
im speziesistischem Diskurs usurpiert und integriert worden ist - die Aufmerksamkeit
zu schenken. Tatsächlich wird durch solch eine Diskussion, in der Tierquälerei
strikt getrennt und isoliert sowohl von der lebensbeendenden Gewalt, d.h. dem
Mord, als auch von der konzeptionellen Gewalt betrachtet wird, oder um es anders
zu formulieren, Tierquälerei nicht als eine Form von Gewalt (unter
anderen Formen) benannt wird, getreu dem dominanten Diskurs, Ausbeutung/Gewalt
als Norm gesetzt: Doch Gewalt ist Gewalt ist Gewalt!
Die allermeisten der in den Schlachthöfen getöteten nichtmenschlichen
Tiere verbringen ihr Leben, bevor sie in sog. Tiertransportern dorthin verschleppt
werden, auf einem Fabrikbauernhof. Während ein Teil der nichtmenschlichen
Tiere eigens dafür gehalten wird, um geschlachtet zu werden, wird ein anderer
Teil zuvor, bis sie als nicht produktiv genug angesehen werden, für Milch,
Eier, „Wolle“, Daunen bzw. als sog. Zuchttiere ausgebeutet. Wie in einer effizienten
Fabrik wird auf diesen Bauernhöfen versucht, die Profite zu maximieren
und die Ausgaben zu minimieren - beides auf Kosten der nichtmenschlichen Tiere.
Die nichtmenschlichen Tiere werden hier 24 Stunden am Tag ausgebeutet und ihr
Todestag ist (zumeist) bereits geplant, bevor sie geboren werden - wenn sie
nicht als Folge ihrer Gefangenschaft früher sterben. Sie sind in Lagerhallen
aus Beton, Holz und Stahl auf engstem Raum eingesperrt, dem Sonnenlicht entzogen
und dem Geruch ihrer Exkremente ausgesetzt. Selbst der Kontakt mit ihren ArtgenossInnen
ist hier, sofern die nichtmenschlichen Tiere nicht, wie z.B. Kälber, sowieso
isoliert voneinander gehalten werden, zu einer schmerz- und leidvollen Erfahrung
gemacht worden. Ich möchte nun, am Beispiel von Hühnern schildern,
wie esnichtmenschlichen Tieren ergeht, die in einer Welt leben, in der sie von
Menschen als „Schachtvieh“, hier „Schlachtgeflügel“ angesehen werden, in
der sie nicht als Individuen, sondern als Ware geschätzt werden:
Hühner kommen heutzutage zumeist im Brutschrank zur Welt. Bei denjenigen,
die alleine für „Fleisch“ aufgezogen werden sollen, den sog. Masthähnchen,
die in der Fachsprache bezeichnenderweise auch Endproduktküken genannt
werden, spielt im Gegensatz zu den sog. Legehennen - wo die männlichen
Küken sogleich selektiert und umgebracht werden - das Geschlecht keine
Rolle. 5 000 - 100 000 dieser Küken werden einen-Tag-alt gewöhnlich
auf den Boden einer großen fensterlosen Halle, in der fast die ganze Zeit
eine Dämmerbeleuchtung eingeschaltet ist, untergebracht. Da schlafende
Hühner nicht essen, wird über diese Beleuchtung dafür gesorgt,
daß die Hühner nur soviel Schlaf bekommen, wie es zum Überleben
gerade nötig ist. Mutterlos müssen diese Küken vom ersten Tag
an für sich selbst sorgen. Diejenigen, die nicht von selbst ihren Weg zu
den Futter- oder Wasserstellen finden, sterben. Aber auch sonst werden die Hühner
nicht lange leben, von ihren HalterInnen ist vorgesehen, sie nach 6 - 7 Wochen,
d.h. knapp 40 Tagen zum Schlachthof zu bringen. 40 Tage, in denen der Raum in
ihrem fensterlosen Gefängnis immer enger wird, bis er schließlich
so eng ist, daß die Hühner kaum noch Raum haben, sich zu bewegen.
40 Tage mit ständig zunehmenden körperlichen Schmerzen: Nach sieben
Wochen sind sie, bedingt durch die Zucht, den Haltungsbedingungen und dem speziellen
Futter so schwer (zweimal so schwer wie ihre VorfahrInnen vor Dekaden), daß
sie kaum zum Laufen fähig sind, ihre Beine können den restlichen Körper
kaum tragen. Der ursprünglich saubere Raum ist mittlerweile verdreckt,
denn die Einstreu wurde in dieser Zeit nie gewechselt, ein ideales Klima für
viele Krankheiten, die mensch mit Pharmazeutika in der Essensration insofern
zu kontrollieren versucht, daß die Rentabilität (sic!) nicht gefährdet
ist. Der Tod einer bestimmten Anzahl von Hühnern, z.B. durch Herzversagen,
ist von vornherein in der Kalkulation mit einberechnet. Dann nach 40 Tagen werden
die Vögel an ihren Füßen gepackt und in kleine Verschläge
gesteckt, wobei es passieren kann, daß Flügel oder andere Körperteile
zwischen den aufeinandergestapelten Kästen eingeklemmt werden. Die Hühner
werden in einem Alter, in dem sie, vom Menschen unangetastet, noch „unter dem
Flügel ihrer Mutter wären“, bei einer natürlichen Lebensspanne
von 5 - 10 Jahren, mit einem LKW zum Schlachthof gebracht; jährlich überleben
Millionen von ihnen die Fahrt dorthin nicht. Diejenigen, die überleben,
werden dort kopfüber mit ihren Füßen an ein Fließband
eingeklinkt. Die sich noch wehrenden Vögel werden dann mit dem Kopf in
ein unter Strom gesetztes Wasserbad eingetaucht, welches sie betäubt -
betäuben soll, denn manchen Hühnern gelingt es, ebenso wie kleinen
Hühnern, den Kopf über Wasser zu halten. Am Ende der Metallschiene
des Fließbandes schneidet dann ein rotierendes Messer den Hühnern
die Hälse auf und sie verbluten zu Tode, teils (wieder/ständig) bei
Bewußtsein. Schließlich kommen sie in ein siedendes Brühbad
und in den Rupfer. Ihre Leichen werden dann in Plastikfolie eingeschweißt,
um später in der Kühlvitrine eines Supermarktes zum Verkauf bereit
zu liegen, werden in einem Imbiß am Spieß gegrillt, ... .
In der Diskussion mit TierleichenesserInnen sind - wie bereits gesagt - immer
wieder Aussagen wie „Ich könnte kein Tier umbringen“ zu hören. Damit
wird nicht allein, wie bereits festgestellt, dem Skrupel zu töten, Ausdruck
verliehen, sondern damit waschen diese TierleichenesserInnen ihre Hände
von jeder Schuld frei. Sie leugnen, bei Annahme des belastenden Beweisstückes,
d.h. des „Fleisches“, die Verantwortung für ein Verbrechen, für einen
Mord, für die Verletzung und Elimination der Lebensintegrität nichtmenschlicher
Tiere. Demgemäß sehen sie sich nicht als AuftraggeberInnen für
ein Verbrechen, doch die Komplizenschaft ist real, denn
[...] der Mensch ist nicht nur verantwortlich für
die Handlungen, die er selber ausführt, sondern auch für die, die
er von anderen ausführen läßt. Das Hehlen ist so schlimm
wie das Stehlen, und das Fleischessen so schlimm wie das Schlachten. (Schwantje
1976: 83).
Die SchlachterInnen wiederum leugnen ebenfalls ihre Verantwortung,
indem sie auf das Verlangen der „KonsumentInnen“ nach „Fleisch“ verweisen. Führt
mensch diese Logik von TierleichenesserInnen und SchlachterInnen zusammen, so
hat im Endeffekt überhaupt kein Verbrechen stattgefunden!
Anhand des „Fleisch“-Diskurses habe ich bereits aufgezeigt, daß die Wahrheit
über die Gewalt, die nichtmenschlichen Tieren angetan wird, nicht ausgesprochen
wird. Aber das Verleugnen des den nichtmenschlichen Tieren zugefügten Schadens
ist nicht nur diesem Diskurs eigen. Wie gesagt, ist in dem „Fleisch“-Diskurs
das nachvollzogen, was bereits durch die Schlachtung und Zerstückelung
eines nichtmenschlichen Tieres erreicht worden ist. So wäre es ziemlich
absurd, Euphemismen wie Schnitzel, Kotelett, ... zu benutzen, wenn die Leichenteile
an und für sich an das ermordete nichtmenschliche Tier erinnern würden.
Bis ins 17te Jahrhundert war es hingegen durchaus üblich, möglichst
große Teile eines getöteten nichtmenschlichen Tieres auf den Tisch
zu bringen: Der Anblick des ermordeten nichtmenschlichen Tieres wurde als angenehm
empfunden. In etwa ab dem Ende des 18ten Jahrhunderts ist jedoch eine wachsende
Tendenz zu beobachten, die erkennbaren Merkmale der geschlachteten nichtmenschlichen
Tiere zu verbergen: Den ermordeten nichtmenschlichen Tieren wurde der Kopf abgeschnitten,
die Beine abgetrennt, ... .William Hazlitt beschreibt im Jahre 1826 deutlich,
daß es dabei darum geht, die nichtmenschlichen Tiere unerkennbar zu machen:
Tiere, die als Nahrungsmittel Verwendung finden, sollten
entweder so klein sein, daß man sie nicht als solche erkennt, oder aber
sie sollten ... nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt belassen werden,
so daß sie uns vorwurfsvoll ob unserer Gefräßigkeit und Grausamkeit
entgegenblicken könnten. Ich hasse den Anblick eines dressierten Kaninchens
oder eines Hasens, der in der Gestalt, die er im Leben hatte, auf den Tisch
gebracht wird. (Hazlitt zitiert nach Rifkin 1994: 245).
An diesem Beispiel wird aber zugleich offensichtlich, daß
es sich bei diesem Unerkenntlichmachen um eine Strategie handelt, um die Subjektivität
der nichtmenschlichen Tiere zu verdrängen, daß es sich dabei um eine
speziesistische Schutzeinrichtung handelt (denn die Gefräßigkeit
und Grausamkeit „fleischessender“ Menschen wird dadurch nicht weniger real).
Heutzutage ist im zunehmenden Maße zu beobachten, daß das „Fleisch“
auf dem Teller immer weniger die Erinnerung an das dafür umgebrachte nichtmenschliche
Tier bzw. an eine Leiche aufkommen läßt. Die neueste Entwicklung
ist dabei eine, die Jeremy Rifkin als die „endgültige Demontage des Fleisches“
(Rifkin 1994: 245) bezeichnet: „Fischfinger“/“-stäbchen“, „Hamburger“,
„Nuggets“ und „Flugzeuge“. Ein „Hamburger“, ... ist wie der andere - nichtmenschliche
Tiere sind zur uniformierten, standardisierten Ware ohne jede Individualität
gemacht/gepreßt worden. Nichts erinnert mehr an das nichtmenschliche Tier,
nicht die Form und auch kein Auge, kein Bein, kein Schwanz, kein Knochen, kein
Knorpel, keine Sehne, ..., nichts erinnert mehr an den gewaltsamen Tod eines
nichtmenschlichen Tieres. Ihre/Seine wahre Identität ist in der Warenidentität
des „Fleisches“ nun vollkommen verhüllt worden. Auch die Leichenteile,
das „Fleisch“, werden zunehmend nicht mehr in ihrem „vulgären, unverhüllten
Zustand“ (Fiddes 1993: 119) angeboten, sondern paniert / gebraten / in eine
Sauce versteckt / in einem Brötchen verdeckt / ... und werden zunehmend
in Zellophan verpackt.
Im 15/16ten Jahrhundert wären Worte, wie
Ich als Schlachter bedauere, daß Lieferungen auf den
Schultern des Lastwagenfahrers von der Hauptstraße in meinen Laden gebracht
werden - besonders wenn sie nicht abgedeckt sind ... Ich kann mir kaum etwas
vorstellen, das Vorübergehende mit größerer Sicherheit davon
abhält, Fleisch zu kaufen, als der Anblick eines Schweinekopfes, der hin
und her plumpst [...]. (Fiddes 1993: 119)
noch undenkbar gewesen, war es doch durchaus üblich, daß
beim Metzger verfolgt werden konnte, wie die nichtmenschlichen Tiere, deren
Leichenteile angeboten werden sollten, umgebracht wurden. Die Schlachthöfe
werden heutzutage zunehmend nicht als solche, sondern mit Euphemismen wie Fleischfabrik
oder Frischezentrum benannt. Was mit diesem Newspeak, um es mit George Orwell
zu sagen, bezweckt wird, ist der folgenden Zeitungsmeldung des Guardian vom
30.11.84 zu entnehmen:
Dies würde die KonsumentInnen von dem Bewußtsein
der „blutigeren Seite“ des Fleischhandels entfremden. Der Herausgeber [der Meat
Trades Journal]vertrat die Ansicht, daß es Zeit für eine Überprüfung
des Fleischhandels-Vokabulars sei, in Anerkennung “einer Entfremdung unter den
jüngeren FleischkäuferInnen von dem Konzept, daß Fleisch jemals
von einemTier kommt!“. Dies ist zum Teil, weil diese KäuferInnen ihre Einkauf
in der blutlosen Atmosphäre von Supermärkten erledigen [...]. Eine
Änderung der Nomenklatur mag nur als ein verbaler Unterschied erscheinen,
aber es würde „ein Image von Fleisch, abgetrennt von der Schlachthandlung,
heraufbeschwören“. „Die Öffentlichkeit will sich nicht der blutigeren
Seite des Schlachtens bewußt sein“, sagte er. „Vielleicht ist jetzt die
Zeit, um Veränderungen zu machen“. (zitiert nach Cox 1992: 13)
Voraussetzung dafür ist, daß der Tiermord für
die meisten Menschen schon unsichtbar gemacht worden ist. Die Schlachthöfe
sind heute zum einen nur noch selten in den Zentren der Städte, sondern
eher an ihrem Rand, in Gewerbegebieten oder draußen im „Grünen“ zu
finden, zum anderen wird der Tiermord häufig im Verborgenen, d.h. hinter
verschlossenen Türen und (oftmals) hohen Mauern begangen.
Wenn auch der Tiermord häufig im Verborgenen stattfindet, so ist es dennoch
nicht so, daß er, ich wiederhole, unbekannt ist. Aber, soversichern viele
der AuftraggeberInnen des Tiermords: „Da wird schon alles in Ordnung sein, sonst
würde sich der Tierschutz schon zu Wort melden“. Und die Schlachthäuser
versichern im gleichen Tenor: „Tierschutz wird hier sehr ernst genommen!“. So
wird in der Regel allenfalls darum diskutiert, wie die Tiere umgebracht und/oder
gehalten werden. In diesen Diskussionen ist der gemeinsame Tenor von „Tierzüchtern,
-erzeugern und -verbesserern“, Bauern bzw. Bäuerinnnen, SchlachthofbesitzerInnen,
SchlachterInnen, „FleischfabrikantInnen“, MetzgerInnen, ... bis hin zu den „FleischesserInnen“
und nicht zuletzt auch von denjenigen, die vorgeben, für die Tiere Partei
zu ergreifen - den TierschützerInnen -, daß dies auf eine sog. humane
Art und Weise geschehen sollte.
Wird heutzutage von TierschützerInnen das „Bio-Fleisch“ und die „artgerechte
Tierhaltung“ propagiert, so wurde in der Vergangenheit, d.h. als die Tierhaltung
in Fabrikbauernhöfen - der sog. Massentierhaltung - noch nicht (so weit)
verbreitet war, die Art und Weise der Schlachtung eingefordert, die heutzutage
- mit Ausnahme der sog. Notschlachtungen und dem Schächten, also dem Schlachten
gemäß den Vorschriften einiger nicht-christlicher Religionsgemeinschaften
- per Gesetz vorgeschrieben wird: das Schlachten nach vorhergehender Betäubung.
Im Zuge ihrer Bemühungen zur sog. Schlachtreform wurden TierschützerInnen
aus ihrem Selbstverständnis heraus mitunter zu TötungsexpertInnen.
Sie wurden ExpertInnen darin, zu sagen, welche Tötungsmethode die schmerzloseste
war (bzw. als solche galt). Sie hatten die besten Ratschläge dazu, wie
der Mord in diesem Sinne durchgeführt werden sollte, z.B. an welcher Stelle
des Kopfes eines Rindes das Bolzenschußgerät angelegt werden „muß“
bzw. - um eine ältere Tötungsmethode zu nennen - wo der Vorschlaghammer
den Kopf des nichtmenschlichen Tieres treffen „muß“. Die logische Konsequenz
ist die, das der/die TierschützerIn selber zum/zur SchlachterIn wird. Dies
ist keine spitzfindige Rhetorik: So berichtete Magnus Schwantje von zwei Schlachtern,
die das Mörderhandwerk erlernten, weil sie als Kinder gesehen hatten, wie
grausam die nichtmenschlichen Tiere beim Schlachten gequält wurden (vgl.
Schwantje 1976: 84) und Rebecca Hall von einem vegetarischen Tierschützer,
der Schlachter wurde, um Wege zu finden, das Morden - wie es so heißt
- humaner zu machen (vgl. Hall 1984: 63 - 74). Die Verwendung der Begriffe human
und inhuman, die nicht nur im Tierschutzdiskurs mit der Zuordnung als „gut“
und „böse“, „sanft“ und „grausam“ (oder sollte ich sagen „zivilisiert“
und „wild“) einhergeht, ist dabei aus antispeziesistischer Sicht zu kritisieren.
Das Gerede von einer humanen Schlachtung zeugt entweder von einer beispiellosen
Dummheit, denn welche Schlachtung wird nicht von Menschen durchgeführt,
oder ist aber ein besonders zynischer Versuch, eine Gewalttat zu rechtfertigen,
die nicht zu rechtfertigen ist.
Es stellt sich aus einem antispeziesistischen Verständnis nicht die Frage,
ob die Idee einer leidensfreien Schlachtung (oder Haltung), die im Tierschutzdiskurs
als humane Schlachtung bezeichnet wird - und mittlerweile auch zum Vokabular
des dominanten speziesistischen Diskurses zählt - zu verwirklichen ist:
Jedes nichtmenschliche Tier, das zum Schlachthof verschleppt und dort umgebracht
wurde, wollte leben! Kein nichtmenschliches Tier sehnt sich danach, von einemMenschen
gegessen zu werden! Kein nichtmenschliches Tier geht freiwillig zum/zur SchlachterIn!
In Sittliche Gründe gegen das Fleischessen verdeutlicht Magnus Schwantje,
daß eine nicht wahrgenommene Todesangst auf einer Unfähigkeit zur
Empathie beruhen kann. Er schildert die Besichtigung eines Schlachthofes durch
eine Delegation von TeilnehmerInnen eines Tierschutzkongresses. Ein Teilnehmer
dieser Delegation hatte angesichts eines jungen Stieres, der „ganz ruhig“ mitten
unter den Leichen zerschnittender Rinder stand, gesagt, daß die nichtmenschlichen
Tiere offensichtlich keine große Angst verspüren würden (vgl.
Schwantje 1976: 77). Daraufhin erläuterte Magnus Schwantje ihm, warum es
ein Trugschluß sei, die „Ruhe“ des Stieres in dieser Art und Weise zu
deuten:
Sehen Sie denn gar nicht, wie dem unglücklichen Tier
die Flanken fliegen, wie schwer es atmet, wie seine Haut zittert? Haben Sie
schon jemals gesehen, daß ein Rind, das nichts befürchtet, minutenlang
ununterbrochen ganz bewegungslos steht und stumm auf den Boden starrt, ohne
seinen Kopf zu bewegen? Glauben Sie, daß ein Rind, das in ein ihm ganz
unbekanntes Haus gebracht wurde, dort bewegungslos wie ein Stein stehen bleibt,
wenn es keine lähmende Angst fühlt? - daß es überhaupt
nicht die fremde Umgebung anschaut? Es ist doch ganz klar, daß dieses
Tier nur deshalb so ruhig hier steht, weil es von der Verzweiflung völlig
gelähmt ist, sich überhaupt nicht bewegen kann. (Schwantje 1976:
77/78)
Auf sog. Bioschlachthöfen geht das Bestreben der „Schlachtreform“
dahin, den nichtmenschlichen Tieren diese Todesangst zu nehmen. So werden die
nichtmenschlichen Tiere nicht unmittelbar nach ihrer Ankunft am Schlachthof
getötet, sondern nach einer „Ruhepause“ und Henkersmahlzeit geschlachtet.
Dabei wird mitunter auf Hinterlist gesetzt, um die nichtmenschlichen Tiere zum/zur
SchlachterIn zu locken. Cornelia Filter beschreibt z.B., wie Schweine auf einem
sog. Bioschlachthof überrumpelt werden:
Die Tiere schubsen sich gegenseitig, sie laufen unruhig
hin und her. Nun öffnet sich an der gegenüberliegenden Seite des kargen
Raums eine Tür. Schweine sind neugierig. Wie auf Kommando drehen sich alle
in die Richtung. Jetzt wird das Gitter entfernt, das sie von der Öffnung
in der Rückwand trennt. Ohne das sie getrieben werden müßten,
ohne Hiebe mit Stöcken oder elektrischen Knüppeln, gehen sie „freiwillig“
in den Tod. Hinter der Tür in der sogenannten „Tötungsbucht“ erwartet
ein Schlachter [...] die Schweine. (Filter 1994: 58)
So wird in den „Bioschlachthöfen“ den Schweinen auch noch
die letzte Spur ihrer Würde genommen und dafür gesorgt, daß
sie sich nicht wehren, d.h. sie werden im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben
betrogen! Kein Schwein läßt sich freiwillig abstechen. So dumm ist
kein Schwein. Kein Schwein ist glücklich, weil sie/er geschlachtet werden
wird bzw. wenn sie/er geschlachtet wird! Sie/Er ist auch nicht glücklich,
wenn ein/eine „netteR“, in Selbstmitleid schwelgendeR, sich der „Tragik des
Tötens“ bewußteR SchlachterIn sie/ihn tötet.
Und die vor der Schlachtung erfolgte Betäubung der nichtmenschlichen Tiere?
Ist sie wirklich ein Beitrag zum Tierschutz? Aus antispeziesistischer Sicht
gibt es darauf eine eindeutige Antwort: Nein!
Daß die nichtmenschlichen Tiere durch diese Maßnahme geschützt
werden, ist eine infame Behauptung: Sie mögen zwar eventuell - nach
einer perfekt durchgeführten Betäubung - keine Schmerzen spüren,
aber vor dem Angriff, der auf die Abschaffung ihrer Integrität gerichtet
ist, also ihrem Leben gilt, sind sie dadurch absolut nicht geschützt.
Die sog. Humanisierung der Schlachtung erweist sich auch in diesem Fall als
eine speziesistische Rationalisierung, um das Gewissen der „FleischesserInnen“
zu beruhigen. Sie als Tierschutz auszugeben, ist, um Jürgen Dahl zu zitieren,
eine Heiligung des Zwecks - des Konsums der Leichenteile -
in einer Art von Opportunismus, der nicht zuerst fragt,
was der Mensch dürfen sollte und was nicht, sondern der zuerst das Erwünschte
oder Rentierliche vorgibt und nachträglich die Rechtfertigung dafür
zu beschaffen sucht, und der die Humanität schon gesichert sieht, wenn
das Hackebeil regelmäßig nachgeschliffen wird. (Dahl 1989: 91)
Ferner ist eine Betäubung der nichtmenschlichen Tiere -
antispeziesistisch betrachtet - eine Methode, um ihren Willen auszuschalten
und bereits beim Mord (nahezu) totale Kontrolle über sie zu haben:
Was einem vollkommen wachen und kämpfenden Leib/Körper
nicht einfach angetan werden kann, kann mit einem anästhesierten
erreicht werden. (Adams 1990: 55)
So verkrampfen die Hühner, die zur Betäubung in ein
Elektrobad eingetaucht werden und sie werden dadurch, daß die Flügel
nun eng am Körper anliegen, leichter handhabbar, was nichts anderes heißt,
als daß diese beim tödlichen Schnitt in die Kehle nicht mehr stören.
Die Betäubung ist in diesem Sinne eine Methode zur Vorbereitung und Erleichterung
des Mordes und von daher ist sie ein essentieller Bestandteil der gegenwärtigen
industriellen „Massenproduktion“ von „Fleisch“.
Um zu resümieren: Ob die Schlachtung eines nichtmenschlichen Tieres auf
dem Schlachthof oder auf dem Bauernhof erfolgt, ob sie/er in die „Todesbucht“
hingeschlagen oder hineingestreichelt wird, ob sie/er weiß, was sie/ihn
erwartet oder Hinterlist angewandt wurde, ob sie/er betäubt wird oder nicht,
ob sie/er sich verzweifelt wehrt oder (angesichts) des (bislang) Erlebten und/oder
der Todesangst nahezu regungslos bleibt, ob sie/er sich schon längst aufgegeben
hat oder bis zuletzt noch auf ein Entkommen hofft, ob der/die SchlachterIn ein
fröhliches Liedchen pfeift oder sein/ihr Opfer tröstet, ob er/sie
„Mistvieh“ denkt oder für sein/ihr Opfer betet - es ist und bleibt jedes
Mal individuell, in jeder Faser des Seins gespürt, erlebt, erlitten: Gewalt,
Terror und Mord!
Die Bemühungen der Tierschutzorganisationen und vieler TierschützerInnen
gelten hierzulande heutzutage weniger der „Schlachtreform“. Es gibt jedoch Tierschutzorganisationen
die Geld für Bolzenschußgeräte sammeln bzw. diese kaufen, die
dann z.B. in den Libanon exportiert werden (sollen), wo das Schächten zur
Zeit die gängige Schlachtmethode ist. Hierzulande sehen sie ihr Ziel jedoch,
mit Ausnahme des Schächtens, bereits mehr oder minder gesetzlich verankert
und „der Tierschutz“ ist quasi zum „Berufsethos des deutschen Schlachters“ gemacht
worden. Mehr oder minder, da im Zusammenhang mit „Bio-Fleisch“ die Schlachtung
in gewisser Hinsicht reformiert werden würde und da mitunter bemängelt
wird, daß nicht genügend kontrolliert wird bzw. daß die Tötung(smethode)
von den Tötenden oft nicht genügend erlernt worden ist. Darüber
hinaus sind auch von Tierrechtsorganistionen und einzelnen TierrechtlerInnen
Stimmen zu hören, die als Zwischenstufe bis zur Abschaffung der Schlachtung,
Schlachtreformen einklagen, so z.B. Animal Peace im Rahmen eines Spendenaufrufes:
„Wir können wenig gegen den Tod der Tiere im Schlachthof tun, aber viel
gegen die unglaublich qualvollen Methoden.“ Die Bemühungen der Tierschutzorganisationen
gelten heute weniger der „Schlachtreform“, sondern vielmehr dem Transport der
nichtmenschlichen Tiere zum Schlachthof sowie ihrer Haltung.
TierschützerInnen sprechen sich nicht gegen jede Verschleppung von nichtmenschlichenTierenzueinemSchlachthofaus,sondern
fordern die zeitliche Begrenzung von diesen „Tiertransporten“ und/oder gar die
Subvention von „Kühltransporten“, mit anderen Worten, sie sind sich mit
(anderen?) „FleischesserInnen“ darin einig, daß „Schlachtvieh“ ins Schlachthaus
deportiert werden muß, um dort geschlachtet zu werden, denn „wofür
ist es denn sonst da?“ Sie wollen nur erreichen, daß die nichtmenschlichen
Tiere es bei ihrer Verschleppung möglichst bequem haben, sie aber nicht
davor schützen, umgebracht zu werden.
TierschützerInnen fordern eine Abkehr von der „Massentierhaltung“ und propagieren
die „artgerechte Nutztierhaltung“. Die nichtmenschlichen Tiere sollen, so heißt
es, ein glückliches, gutes Leben gehabt haben, bevor sie umgebracht werden.
Das sog. Bio-Fleisch, womit die Leichenteile von „artgerecht“ gehaltenen nichtmenschlichen
Tieren gemeint sind, wird von TierschützerInnen nicht alleine propagiert,
sondern Tierschutzvereine, z.B. der Deutsche Tierschutzbund und der Verein
gegen tierquälerische Massentierhaltung sind sogar mit an der
Vermarktung dieser Leichenteile beteiligt. Wenn mensch über vieles hinwegschaut,
z.B. darüber, daß auch bei der „artgerechten Haltung“ - nicht nur
anläßlich der Verschleppung zum Schlachthof - in das Leben der nichtmenschlichen
Tiere eingegriffen wird, darüber, daß sie eine Haltung bleibt, die
von daher mit einem Machtverhältnis einhergeht, darüber, daß
es - wie Helmut F. Kaplan schreibt - alleine vom psychologischen Aspekt her
der Logik des Gesamtkontextes widerspricht sich, um das Wohlergehen - die physische
und psychologische „Gesundheit“ - der nichtmenschlichen Tiere zu kümmern,
da sie in der Vorstellung der sich Kümmernden bereits ermordet, zerhackt,
zerstückelt, zu „Fleisch“ gemacht worden sind und nicht zuletzt auch darüber,
daß diejenigen, die die „artgerechte Haltung“ betreiben, z.T. nebenher,
zumeist aber zuvor, nichtmenschliche Tiere in Fabrikbauernhöfen industriell
gehalten haben und demgemäß nicht gerade vertrauenswürdig sein
sollten, könnte zwar evtl. gesagt werden, daß die nichtmenschlichen
Tiere, die „artgerecht“ gehalten werden, glücklich sind bzw. daß
es ihnen gut geht, aber die Behauptung einer hinter dieser Haltung stehenden
moralischen Motivation wird durch dieSchlachtungad absurdumgeführt.Auch
das sog.Bio-Fleisch istein Stück eines gegen ihren/seinen Willen umgebrachten
nichtmenschlichen Tieres.
Glaubt mensch jedoch den Verlautbarungen derjenigen, die ein Interesse an dem
Verkauf der Leichtenteile von „artgerecht“ gehaltenen nichtmenschlichen Tieren
haben, so gewinnt mensch den Eindruck, diese wären über diese Art
der Haltung/Behandlung so glücklich, daß sie aus lauter Dankbarkeit
das Bolzenschußgerät selbst anlegen, lachend der Elektrozange entgegensehen,
kaum darauf warten können, zu „Fleisch“ zerhackt, zerstückelt und
gegessen zu werden. Diese Phantasien sind prinzipiell nichts Neues: Das in seine
Ausbeutung und Verspeisung einwilligende und sich selbst verwirklichende nichtmenschliche
Tier ist nicht erst mit dem Aufkommen der „Bio-Schlacht-Branche“ ein fester
Bestandteil der Verkaufspolitik der „Fleischindustrie“. Von den „Fleischtransportern“,
die als Leichenwagen akkurater beschrieben wären, und von den Verpackungen
der Leichtenteile grinsen uns die fröhlichen Schweine, Rinder und Hühner
entgegen. In einer Werbeaktion der Frikifrisch GmbH bietet sich ein Huhn als
Prostituierte an, der passende Spruch lautet (dem Sinn nach wiedergegeben):
„Unsere Hühner sind zwar nicht die billigsten, aber die besten“. Vor den
hiesigen Metzgereien (aber auch z.B. in England und Frankreich) stehen häufig
Schilder, auf denen ein Schwein (mitunter mit einem branchenüblichen Verkaufskittel
bekleidet) sich und ihre/seine LeidensgenossInnen zu Sonderpreisen als Rippchen,
Kotelett, Nacken, ... anbietet. Anläßlich des Rückgangs des
Verkaufs von „Rindfleisch“ im Zusammenhang mit BSE erdreistete sich die „Fleischbranche“
dazu, den Leichenteilen die Subjektivität zuzuweisen, die sie den nichtmenschlichen
Tieren zumeist absprechen bzw. die sie, je näher die nichtmenschlichen
Tiere der Schlachtungentgegensehen, als eine von willigen Opfern konstruieren.
„Rindfleisch aus deutschen Landen können sie vertrauen“ war auf Plakaten
zu lesen. Dies ist allerdings beileibe kein Einzelfall, so grinsen uns auf einer
Werbebroschüre der Bio-Metzgerei bruno fischer zwei fröhliche, zu
ihrem Konsum ermunternde „Würste“ entgegen. Die Vorstellung von nichtmenschlichen
Tieren als willige Opfer wird auch im Zusammenhang mit dem menschlichen Konsum
von Eiern und der Muttermilch von nichtmenschlichen Tieren verbreitet, nicht
alleine, wenn in diesem Zusammenhang von „glücklichen“ nichtmenschlichen
Tieren gesprochen wird, sondern immer dann, wenn davon gesprochen wird, daß
die nichtmenschlichen Tiere den Menschen Eier bzw. Milch geben - sie werden
ihnen genommen!
Im Kontext der sorgfältig geplanten Ausbeutung und/oder Tötung als
sog. Nutztiere, muß auch der gerade in der „Biobranche“ zu beobachtende
Trend nichtmenschlichen Tieren zusätzlich oder anstelle einer Nummer einen
Namen zu geben - „Wir kennen alle unsere Tiere“ - betrachtet werden. Diese Namen
täuschen nur vor, daß die Individualität, die Persönlichkeit
dieser nichtmenschlichen Tiere respektiert wird. Werden mit der Namensgebung
z.B. „Tradition“ oder auch „Exotik“ beschworen, so sind damit jeweils bestimmte
Vorstellungen verbunden. Wenn eine „Milchkuh“ z.B. Barbie benannt wird, so ist
mit dem Namen Barbie soziokulturell betrachtet und wohl auch vom Namensgeber
bzw. (vermutlich seltener) der Namensgeberin beabsichtigt, ein bestimmtes Bild
(von) einer Frau und einer Kuh verbunden. D.h. der Kuh wird hier nicht
ein persönlicher Name in Anerkennung ihrer Individualität gegeben,
sondern ein stereotyper Name verpaßt, der mit ganz bestimmten Vorstellungen
verbunden ist. Einzig/Erst in diesem Sinne ist sie unter dem Blick
des Mannes/Namensgebers eine Persönlichkeit (die sie in der Realität
immer ist!). Die AutorInnen von Chickens in Your Backyard zeigen unmißverständlich
auf, daß sie wenn sie sog. Nutztieren schon einen Namen geben würden,
diesen so wählen würden, daß er eigentlich gar kein richtiger
Name wäre. Denn mit ihm würde nicht die Persönlichkeit des nichtmenschlichen
Tieres anerkannt, sondern aberkannt:
Die erste Regel, die Sie sich merken müssen, wenn Sie
planen, Hühner für Fleisch aufzuziehen, ist die, niemals einen Vogel,
den Sie zu essen beabsichtigen, einen Namen zu geben. Entweder werden Sie nicht
fähig sein, „es zu tun“, wenn die Zeit kommt, oder dieses wunderschöne
Brathähnchen wird sich auf dem Tisch befinden, während Sie und ihre
Kinder mit Tränen in den Augen um den Tisch herum sitzen. Wenn Sie ihrem
zukünftigen Essen einen Namen geben müssen, nennen sie es (sic!) Colonel
Sanders oder Cacciatore. (Luttmann zitiert in Adams (Hrsg) 1993: 303)
Daß die Namensgebung nicht erfolgt, um die individuelle
Persönlichkeit zu benennen, geht nicht zuletzt daraus hervor, wie mit den
Benannten umgegangen wird: Sie sind trotz ihres Namens austauschbar, ihnen wird
nicht nachgetrauert, sondern ihr Platz im Stall wird anderen jüngeren nichtmenschlichen
Tieren gegeben. Sie werden zum Schlachthof gebracht und dort zu vielen Stücken
„Fleisch“ getötet und zerhackt. Ihre Einzigartigkeit wird ihnen so genommen,
jede und jeder dieser nichtmenschlichen Tiere ist vom Individuum zu einem Dividuum
erklärt und gemacht worden. Als Personen sind sie endgültig
aus dem Blickfeld verschwunden: Gegessen und vergessen. Im Stall sind die nächsten
Tiere untergebracht worden, die Individuen sind verschieden, doch der Name ist
(vielleicht) geblieben: Die nächste Barbie, die bis zu ihrer Schlachtung
hier untergebracht wird.
Es ist ein Mythos, daß es einigen nichtmenschlichen Tieren gut geht, weil
es anderen nichtmenschlichen Tieren „schlimmer“ geht - jede Gewalterfahrung
ist für die/den davon BetroffeneN schlimm, und zwar unabhängig von
dem Ausmaß der Gewalt, die sie/er erfahren hat - v.a. aber wird ein Mord
dadurch nicht gerechtfertigt! Es ist ein Zynismus, eine „artgerechte“ Haltung
als Tierschutz zu verkaufen, wenn an der Absicht, die nichtmenschlichen Tiere
auszubeuten und/oder zu ermorden, festgehalten wird. Solch eine „artgerechte“
Haltung dient nicht alleine zur Beruhigung des eigenen Gewissens. Sie „nur“
als eine besonders perfide Methode zur Verdrängung des Unrechtsbewußtseins
anzusehen, würde zu kurz greifen, denn sie ist unverkennbar ebenso eine
Vermarktungs- und Verkaufsstrategie. Seitens der „Fleischwirtschaft“ steht hinter
der moralischen Präsentation einer „artgerechten“ Tierhaltung, die ich,
wo sie im Kontext des speziesistischen Willens zur Ausbeutung/Ermordung steht,
angemessenermaßen als strategische Tierhaltung bezeichne, eine ökonomische
Motivation.
Mit ihr wird ein neues/“besseres“ - nicht zuletzt - „gesünderes“ Image
für Tierleichenteile geschaffen und in bezug dazu eine Marktnische für
„Qualitätsfleisch“ gefüllt. Dabei ist die industrielle Tierhaltung
die Grundbedingung für die moralische Präsentation der strategischen
Haltung, denn nur vor dem Hintergrund der Fabrikbauernhöfe kann sie als
„besser“ für die nichtmenschlichen Tiere, als deren besonderes „Glück“,
verkauft werden. Die strategische Haltung erfüllt gleich in zweierlei Hinsicht
eine Alibifunktion: Zum einen, was offensichtlich ist, steht die Absicht dahinter,
weiterhin den Auftrag zur Ermordung von nichtmenschlichen Tieren zwecks
Konsum ihrer Leichenteile zu bekommen, d.h. Menschen vom vegetarischen oder
veganen Weg wegzubringen bzw. fernzuhalten und somit in letzter Konsequenz
auch den Speziesismus abzusichern. Zum anderen dient sie aber auch denjenigen,
die mit der industriellen Haltung Geld verdienen bzw. die „Fleisch“, Milch und/oder
Eier aus einer solchen Haltung kaufen, dazu, ihre Handlungen, indem sie das
eine Unrecht (industrielle Haltung) mit dem anderen Unrecht (strategische Haltung)
legitimieren, zu rechtfertigen. Dabei sind zwei Argumentationsstränge möglich:
Einmal wird darauf verwiesen, daß sich die „artgerechte“ Haltung prinzipiell
nicht von der industriellen Haltung unterscheidet und das andere Mal wird durch
diesen Verweis der Speziesismus grundsätzlich als legitimiert angesehen
und somit auf andere, z.B. ökonomische Gründe verwiesen, die dazu
zwingen würden, weiterhin mit der industriellen Haltung Geld zu verdienen
bzw. die „Produkte“ aus dieser Haltung zu kaufen.
TierschützerInnen, die sich dafür engagieren, daß „Nutztiere“
im Kontext ihrer Ausbeutung/Ermordung „artgerecht“ gehalten werden, möglichst
„kurz“ und „komfortabel“ verschleppt werden und/oder so „human“ wie möglich
umgebracht werden - also die allermeisten TierschützerInnen bzw. Tierschutzvereine
- legitimieren die Ausbeutung und den Mord dieser nichtmenschlichen Tiere.
Um noch einmal zu resümieren: Ob Menschen dem nichtmenschlichen Tier eine
Nummer oder einen Namen verpaßt haben, ob das nichtmenschliche Tier in
einem engen „Stall“ oder auf einer Wiese, ob sie/er „artgerecht“, „tiergerecht“,
„tierschutzgerecht“, ... (was immer das heißen mag) oder industriell gehalten
wurde, ob ihre/seine Verschleppung zum Schlachthof eine Sekunde oder mehrere
Tage dauerte, ob sie/er während der Verschleppung Rast und Trank bekommen
hat oder nicht - „Fleisch“ ist, bleibt jedes Mal individuell, in jeder Faser
des Seins gespürt, erlebt, erlitten: Gewalt, Terror und Mord!
Als kleines Kind wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, das Kalb, den/die
ich auf der Wiese bestaunt habe, zu töten oder töten zu lassen, um
seine/ihre Leichenteile zu essen. Und dennoch habe ich u.a. die Leichenteile
von umgebrachten Kälbern gegessen. Wenn ich meine Eltern gefragt habe,
was es zu essen gibt, so hatte ich zwar das Wort Kalb deutlich vernommen, doch
ich hatte nicht wirklich verstanden, was sie gesagt hatten. Ich habe keine Verbindung
zwischen „Kalb“ und dem lebendigen Kalb gezogen. Es war für mich, denke
ich, unvorstellbar, daß mensch Kälbern so etwas antun konnte. Ich
habe zu diesem Zeitpunkt mir nie die Frage gestellt: „Wer liegt auf meinem Teller?“.
Als Kind wird uns selten die Wahrheit über das, was nichtmenschlichen Tieren
von Menschen angetan wird, erzählt. Wir werden ermutigt, die Kuh auf der
Wiese zu streicheln, uns mit ihr „anzufreunden“. Uns wird aber nicht erzählt,
daß sie früher oder später für uns geschlachtet werden
wird. Wir werden an die Selbstverständlichkeit des „Fleischessens“ gewöhnt.
In unseren ersten Büchern sprechen anscheinend die nichtmenschlichen Tiere
zu uns bzw. wir können ihnen zuhören. Währenddessen werden die
Schreie der nichtmenschlichen Tiere in den Schlachthöfen von uns ferngehalten.
Uns wird beigebracht, daß die wirklichen Hühner, Schweine, Kühe,...stumm
sind, daß sie (uns) nichts zu sagen haben. Denn wenn wir sie schreien
hören würden, könnten wir sie verstehen: Unser „Herz“ könnte
eine andere Sprache sprechen als wir sprechen sollen. Wenn ich gesehen hätte,
wie ein Kalb durch einen Menschen umgebracht worden wäre, hätte ich
mutmaßlich, zumindest bis zu einem gewissen Alter, geweint und hätte
mich mutmaßlich geweigert, „Fleisch“ zu essen. Diese Weigerung, „Fleisch“
zu essen, die Tränen, die angesichts des Mordes geflossen wären, sie
wären nicht auf großartige Reflexionen meinerseits zurückzuführen
gewesen. Ich hätte nicht überlegt: „Es ist ein Unrecht, das Kalb zu
töten, da er/sie empfindungsfähig ist“, ich hätte nicht überlegt:
„Dieses Kalb alleine aufgrund seiner Spezieszugehörigkeit zu töten,
wäre ein Unrecht, denn er/sie ist genauso das Subjekt seines/ihres Lebens
wie wir Menschen es sind“, ich hätte nicht, um es auf den Punkt zu bringen,
ein Kriterium oder gar einen ganzen Kriterienkatalog zu Hand genommen, um aufzuzeigen,
warum es ein Unrecht ist, Kälber zu töten. Mit solch einer Reflexion
hätte ich mich mitten in einer Kultur des Schlachthofes befunden, doch
meine Gedanken waren jenseits von Fleisch.
Auch zu dem Zeitpunkt, wo ich beschloß „Ich esse keine Tiere!“ habe ich
die Persönlichkeit der Tiere nicht auf bestimmte Faktoren reduziert oder
sie mit der von Menschen verglichen. Später habe ich, um meine Position,
mein „Ich esse keine Tiere!“ anderen Menschen zu vermitteln, mich u.a. bereitwillig
auf viele solche Argumentationsstränge eingelassen und habe sie z.T. reproduziert.
Heute esse ich kein “Fleisch“ mehr. Ich lebe vegan und setze mich gegen den
Speziesismus, insbesondere gegen die institutionalisierte speziesistische Gewalt
ein. Mein Einsatz erfolgt nicht aus Gründen der Fairneß, wie z.B.
kurzgefaßt: Da Rassismus und Sexismus abzulehnen sind, muß auch
Speziesismus abgelehnt werden. Ich setze mich nicht für nichtmenschliche
Tiere ein, weil sie „so sind wie wir“. Nein, über Reflexion bin ichwieder
dahinkommen, mich aus dem einen simplen Grund, den ich als Kind vermutlich genannt
hätte, und der mich später dazu bewog kein „Fleisch“ zu essen, zu
engagieren: Weil sie sie sind!
Literatur, auf die sich im Vortrag bezogen wird/Die
verwendeten Zitate sind aus:
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Carol J. Adams und Josephine Donovan. Durham; London: Duke University Press.1995
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Schwantje, Magnus. Gesammelte Werke: Band 1 - Vegetarismus:
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München: Hirthammer. 1976.
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Thomas, Keith. Man and the Natural World: Changing Attitudes
in England 1500-1800. London: Penguin Books. 1984.
Anmerkung zum Text:
Dieser Text ist für meinen Vortrag auf der von der Tierrechts
Aktion Nord (TAN) organisierten Veranstaltung „Verachtet, geschlachtet
und gegessen - Fleisch und die Ideologie institutionalisierter Gewalt gegen
Tiere“ am 04.06.99 in Hamburg zusammengestellt worden. Zusammengestellt
ist dabei, denke ich, das richtige Wort, basiert dieser Text doch im wesentlichen
aus Auszügen aus meiner 1996 geschriebenen Diplom-Arbeit Zwischen Tierschutz,
Tierliebe und Tierquälerei: Eine soziologische Untersuchung zum Gewaltparadigma.
Dieser Text ist lediglich für diesen Reader der TAN zur Verfügüng
gestellt worden, eine weitere Vervielfältigung mit kommerziellem Interesse,
in Druckerzeugnissen,... ist nur nach Rücksprache und evtl. Vereinbarung
mit mir gestattet.
Ferner möchte ich noch anmerken, daß ich gemäß dem Wunsch
von TAN am Anfang meines Vortrages kurz daraufhingewiesen habe, daß
ich dort von nichtmenschlichen Tieren rede, wo zumeist von Tieren geredet wird
und daß der Grund für meine Verwendung dieses Begriffes aus dem Vortrag
hervorgehen wird.
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