Wer spricht für den Jaguar?
Donna
Haraways antispeziesistischer Ausflug nach Anderswo.
„Einer gewissen chinesischen Enzyklopädie
zufolge lassen sich die Tiere einteilen in: (a) die dem Kaiser gehören,
(b) einbalsamierte, (c) gezähmte, (d) Spanferkel, (e) Sirenen, (f) Fabeltiere,
(g) streunende Hunde, (h) die in dieser Klassifizierung aufgeführt sind,
(i) die sich wie wahnsinnig gebärden, (j) unzählbare, (k) mit einem
ganz feinen Kamelhaarpinsel gezeichnete, (l) et caetera, (m) die soeben den
Krug zerbrochen haben, (n) die aus der Ferne wie Fliegen aussehen."
Jorge Luis Borges, Otras Inquisiciones, 1960
„Tiere sind nicht die geringeren Menschen;
sie sind andere Welten."
Barbara Noske, Humans and Other Animals
„Wenn ich einmal erwachsen werde, oder (wie wir zu
sagen pflegten) nach der Revolution, weiß ich, was ich tun möchte.
Ich möchte für die Tiergeschichten in Reader's Digest zuständig
sein, die jeden Monat in über zwölf Sprachen an die zwanzig Millionen
Menschen erreichen. Ich möchte die Geschichten über moralisch
versierte Käfer, wundersame Mikroben und gemeinsam zu bewohnende Häuser
der Differenz schreiben."
Donna Haraway, Jenseitige Konversationen
Vorweg
Im vorliegenden Text soll der Versuch unternommen werden,
einige Thesen von Donna Haraway vorzustellen und diese aus anti-speziesistischer
Perspektive zu beleuchten. Donna Haraway hat Biologie studiert und lehrt
heute als Professorin für Wissenschaftsgeschichte in Santa Cruz.
Sie bezeichnet sich selbst als sozialistische Feministin und arbeitet zu Themen,
die an der Schnittstelle zwischen Natur-und Humanwissenschaften liegen. Ihre
Theoriebildung ist außerdem von poststrukturalistischen und sozialkonstruktivistischen
Strömungen beeinflußt. Obwohl Haraway nicht explizit
tierrechtlerisch arbeitet, ist eine Auseinandersetzung mit ihren Thesen dennoch
auch für Menschen, die sich mit dieser Thematik befassen, interessant,
vor allem da sie sich stark mit dem Naturbegriff und der Primatologie auseinandersetzt.
Innerhalb des feministischen Diskurses sind Haraways Arbeiten auch als Antwort
und als Weiterentwicklung bestimmter Strömungen zu sehen. Sie begreift
sich selbst als Teil des Ökofeminismus, den sie aber einer harten Kritik
unterzieht, vor allem hinsichtlich der dort gängigen pauschalen Technik-Feindlichkeit.
Sie wendet sich außerdem auch gegen bestimmte radikalfeministische Theorien,
da ihr eine rein am Sexismus orientierte Analyse zu kurz greift. Sie bezieht
möglichst viele Kategorien in ihre Analysen ein und weist immer wieder
darauf hin, daß weiße Feministinnen nicht „unschuldig" sind, sondern
auch an Unterdrückung teilhaben und lehnt eine Politik, die sich rein auf
den Opferstatus von Frauen gründet, ab. Sie wendet sich gegen häufig
auftretende essentialistische und biologistische Auffassungen innerhalb der
feministischen Theoriebildung, grenzt sich aber gleichzeitig von Theorien ab,
die alles als rein sprachlich strukturiert betrachten, da dies eine Entkörperlichung
zur Folge hätte (s. auch den Abschnitt zum Natur- und Tierbegriff).
Es ist also zu bedenken, daß ihre Sichtweise zwar eine feministische,
aber keineswegs eine „mainstream-feministische" ist. Allerdings wird sie
in den letzten Jahren zunehmend rezipiert, langsam auch im deutschsprachigen
Raum, nachdem sie fast jahrzehntelang ein Geheimtip-Dasein fristete.
Ich finde Haraway so lesenswert, weil sie keine einfachen dogmatischen Positionen
einnimmt und ein starkes politisches Interesse verfolgt: „Wir können
nicht einfach für oder gegen so etwas wie die Gentechnologie sein.
Unser Problem, ein gewiß großes Problem, besteht darin, daß
viele Leute wissen wollen, ob sie dafür oder dagegen sein sollen.
Sie fragen, wie könnt ihr ohne Klarheit politische Bewegungen gründen,
ohne überzeugende und einfache Positionen, ohne Parolen? Ihnen würde
ich entgegenhalten, daß wir politische Bewegungen brauchen, für die
Komplexität eine Selbstverständlichkeit ist, andernfalls werden wir
es erst gar nicht so weit bringen, politische Bewegungen auf die Beine zu stellen
– gerade weil es so kompliziert ist."
Naturwissenschaft und Objektivität
Wie viele andere feministische Naturwissenschaftskritikerinnen
lehnt Haraway die herrschende Vorstellung einer objektiven Naturwissenschaft
ab. Sie warnt allerdings davor, die Tatsache der sozialen Konstruktion
von Wissen als Anlaß dafür zu nehmen, an der Wissenschaft nicht
mehr teilzunehmen, nach dem Motto "Wenn es ohnehin nur Texte sind, warum also
sollten sie die Jungs dann nicht zurückhaben." Aufgrund der Macht,
die den Geschichten zukommt, die WissenschaftlerInnen über die Welt erzählen,
ist es wichtig, in dieses Spiel einzugreifen und eigene Geschichten zu erzählen.
Denn für Haraway ist Wissenschaft eine machtvolle Form, unserem Leben Bedeutung
zu geben, indem Geschichten erzählt werden, ganz analog wie in der Literatur.
Daher hält sie am Begriff der Objektivität weiterhin fest und formuliert
ihn neu, als situiertes Wissen. Bisher kennzeichnete sich Objektivität
durch eine entkörperte Perpektive von außen, von oben herab aus:
„Dieser Blick schreibt sich auf mythische Weise in alle markierten Körper
ein und verleiht der unmarkierten Kategorie die Macht zu sehen, ohne gesehen
zu werden sowie zu repräsentieren und zugleich der Repräsentation
zu entgehen. Dieser Blick bezeichnet die unmarkierte Position des Mannes
und des Weißen". Haraway bezeichnet diese Perspektive als die des göttlichen
Tricks, der sich aber als Illusion entpuppt. Dem setzt Haraway ein Objektivitätskonzept
des verkörperten, verorteten Wissens und der partialen Perspektive entgegen:
„Auf eine weniger verkehrte Weise erweist sich Objektivität als etwas,
das mit partikularer und spezifischer Verkörperung zu tun hat und definitiv
nichts mit der falschen Vision eines Versprechens der Transzendenz aller Grenzen
und Verantwortlichkeiten. Die Moral ist einfach: Nur eine partiale
Perspektive verspricht einen objektiven Blick." Nur durch Verortung und
damit einhergehender Übernahme von Verantwortung kann Objektivität
entstehen: „Es gibt gute Gründe für die Überzeugung, daß
die Sicht von unten besser ist als die von den strahlenden Weltraumplattformen
der Mächtigen herab (...). Dieses Essay teilt diese Annahme und argumentiert
für die Verortung und Verkörperung von Wissen und gegen verschiedene
Formen nicht lokalisierbarer und damit verantwortungsloser Erkenntnisansprüche,
wobei verantwortungslos hier heißt, nicht zur Rechenschaft gezogen werden
zu können." Dabei ist nur der göttliche Trick verboten, jede andere
Perspektive (Standpunkte der Unterworfenen) darf eingenommen werden; Haraway
betont allerdings, daß die Standpunkte der Unterworfenen nicht „unschuldig"
sind, sie sind nur weniger anfällig für die Leugnung der Tatsache,
daß Wissen relativ zum Standpunkt ist. Entscheidend an Haraways
Konzeption von Objektivität ist ihr Verständnis vom erkennenden Selbst,
in dem sie nicht dem traditionell westlichen vom autonomen Subjekt folgt.
Vielmehr handelt es sich um ein nicht selbstidentisches, körperliches,
nicht transzendentes, multiples, nie abgeschlossenes Selbst: „Das erkennende
Selbst ist in all seinen Gestalten partial und niemals abgeschlossen, ganz,
einfach da oder ursprünglich, es ist immer konstruiert und unvollständig
zusammengeflickt, und deshalb fähig zur Verbindung mit anderen und zu einer
gemeinsamen Sichtweise ohne den Anspruch, jemand anderes zu sein. Das
Versprechen der Objektivität liegt darin, daß wissenschaftlich Erkennende
nicht die Subjektposition der Identität suchen, sondern die der Objektivität,
d.h. der partialen Verbindung." Also nur, weil wir keine einheitlichen
Subjekte sind, können wir Verbindungen mit anderen eingehen, können
wir Wissen übersetzen. Weiterhin ist an ihrem Konzept die ethische
Kompenente wichtig: „Positionierung impliziert Verantwortlichkeit für
die Praktiken, die uns Macht verleihen. Politik und Ethik sind folglich
die Grundlage für Auseinandersetzungen darüber, was als rationales
Wissen gelten darf."
Dieses Konzept von Objektivität bildet den Rahmen, in den Haraways Schriften
sich einbetten. Was diese Neudefinition von Objektvität für
das Verhältnis von Subjekt und Objekt bedeutet, werden wir später
im Zusammenhang mit ihrem Tier- und Naturbild sehen.
Sich auflösende Grenzen
Die westliche Denkweise ist wesentlich durch Dichotomien
gekennzeichnet. Val Plumwood, eine australische Philosophin und Tierrechtlerin,
hat Dichotomien als Konstruktionen einer abgewerteten und scharf abgegrenzten
Sphäre des Anderen definiert und folgende Charakteristiken von Dichotomien
herausgearbeitet: Es werden nicht nur Unterscheidungen gemacht, sondern
es handelt sich um eine hierarchische Beziehung. Die Minderwertigkeit
der einen Hälfte wird verinnerlicht, die Konstruktion ist nicht offen für
Veränderung. Sie beschreibt fünf Mechanismen dichotomer/dualistischer
Logik:
1. Das Hintergrund-Schaffen (backgrounding) für den Herren durch die Unterdrückten,
wobei die dadurch entstehende Abhängigkeit des Herrn vom Rest verleugnet
und/oder verdrängt wird.
2.Den radikalen Ausschluß und die Hyperseparation, die alle Gemeinsamkeiten
zwischen den beiden Polen der Dichotomie eliminiert und jeden Unterschied betont,
um jede Überschneidung von Eigenschaften zu verhindern.
3. Die Einverleibung, Vereinnahmung (relationale Definition): Die untere
Seite der Dichotomie wird nur in Abhängigkeit zu und vor allem als Mangel
in Bezug auf die obere Seite definiert.
4.Instrumentalisierung (Objektifizierung): Die untere Seite wird nur als
Mittel zum Zweck für die Oberseite definiert.
5.Homogenisierung oder Stereotypisierung: Unterschiede innerhalb unterdrückter
Gruppen werden nicht beachtet. Die Homogenisierung unterdrückter Gruppen
ist notwendig, um sie als eine „natürliche" Kategorisierung darzustellen.
Val Plumwood beschreibt so, wie die Konstruktion von Dichotomien (Dualismen
in ihrer Terminologie) Herrschaft etabliert, legitimiert und erhält:
„Das Verhältnis des radikalen Ausschlusses hat besondere Charakteristiken.
Für die Unterscheidbarkeit, für Nicht-Identität oder Anderssein,
braucht es nur eine einzige Charakteristik zu geben, die anders ist, die dem
einen zukommt, und dem anderen nicht, um Unterscheidung zu garantieren, gemäß
der gewöhnlichen Behandlung von Identität (z.B. in Leibniz' Gesetz).
Wo Gegenstände nach der dualistischen Beziehung konstruiert oder ausgelegt
werden, wie auch immer, versucht der Herr die Anzahl und die Bedeutung der Differenzen
zu übertreiben, zu betonen und zu maximieren, und gemeinsame Qualitäten
auszulöschen oder als unwesentlich zu behandeln, um so die größtmögliche
Separation zu erreichen. ‚Ich bin kein bißchen wie dieser minderwertige
Andere' ist das Motto, das mit dem radikalen Ausschluß verbunden ist.
Verleugnung oder Minimierung von Kontinuität ist wichtig beim Eliminieren
von Identifikation und Mitgefühl zwischen Mitgliedern der dominierenden
und der dominierten Klasse, und beim Eliminieren möglicher Verwirrung zwischen
Mächtigen und Machtlosen. Es hilft außerdem dabei, separate
‚Naturen' zu etablieren, die die stark unterschiedlichen Privilegien und Schicksale
erklären und rechtfertigen. Ein Hauptziel der dualistischen Konstruktion
ist die Polarisierung, um die Distanz oder Separation zwischen den dualisierten
Sphären zu maximieren und um zu verhindern, daß sie als ineinander
übergehend oder einander berührend zu betrachten sind. Separation
kann etabliert werden, indem überlappende Qualitäten und Aktivitäten
geleugnet oder minimiert werden, und indem rigide Barrieren aufgebaut werden,
die Kontakt vorbeugen."
Haraway betont ebenfalls die Bedeutung dieser Dichotomien: „ Bestimmte
Dualismen haben sich in der westlichen Tradition hartnäckig durchgehalten,
sie waren systematischer Bestandteil der Logiken und Praktiken der Herrschaft
über Frauen, farbige Menschen, Natur, ArbeiterInnen, Tiere – kurz, der
Herrschaft über all jene, die als Andere konstituiert werden und deren
Funktion es ist, Spiegel des Selbst zu sein."
Haraway vertritt nun die These, daß die Grenzziehungen zwischen mindestens
drei dieser grundlegenden Dichotomien im ausgehenden 20. Jahrhundert durchlässig
geworden sind. Die zwischen Tier/Mensch (Organismus) und Maschine, die
zwischen Physikalischem und Nicht-Physikalischem und die zwischen Mensch und
Tier: „Die letzten Brückenköpfe unserer Einzigartigkeit sind
korrumpiert worden, sofern sie sich nicht in Vergnügungsparks verwandelt
haben: Sprache, Werkzeuggebrauch, Sozialverhalten, Geist, nichts ist mehr
übrig, das die Trennungslinie zwischen Mensch und Tier überzeugend
festzulegen vermag- und viele sind auch nicht mehr von der Notwendigkeit einer
solchen Trennungslinie überzeugt. Viele Strömungen feministischer
Kultur betonen das Vergnügen an der Verbundenheit von Menschen mit anderen
lebenden Kreaturen. Die Tierrechtsbewegung basiert nicht auf der irrationalen
Verleugnung der Einzigartigkeit des Menschen, sondern auf der klarsichtigen
Erkenntnis einer sehr realen Verbundenheit, die quer zu dem diskreditierten
Bruch zwischen Natur und Kultur verläuft. Biologie und Evolutionstheorie
haben während der letzten zwei Jahrhunderte nicht nur moderne Organismen
als Wissensobjekte produziert, sie haben auch die Linie, die Menschen und Tiere
scheidet, in eine blasse Spur verwandelt, die nur in ideologischen Auseinandersetzungen
und akademischen Diskussionen zwischen den Bio- und Sozialwissenschaften noch
von Zeit zu Zeit nachgezogen wird." Diese von Haraway beschriebene Auflösung
der Kategorien Mensch/nicht-menschliches Tier zeigt, daß es sich bei dieser
Einteilung niemals um eine feste, in der „Natur" vorgegebene, nur zu entdeckende
Unterscheidung gehandelt hat, sondern daß sie vielmehr ein geschichtliches
Phänomen darstellt und somit veränderbar ist. Londa Schiebingers
Untersuchungen über den Versuch dieser Grenzziehung im 17. Und 18. Jahrhundert
belegen diese Geschichtlichkeit anschaulich.
Natur- und Tierbild
Dementsprechend geht Haraway davon aus, daß die Grenze
zwischen Mensch und nicht-menschlichem Tier konstruiert ist und ihr Interesse
gilt hierbei besonders den nicht-menschlichen PrimatInnen und der Primatologie:
„Die Primatologie handelt von der Konstitution und simultan, und repetitiv,
dem Zusammenbruch der Grenze zwischen Mensch und Tier; mit anderen Worten, dieser
Aspekt der Primatologie betrifft den Moment des Ursprungs – wieder und wieder."
Die Künstlichkeit der Grenzziehung macht sie auch in ihrer Sprache deutlich,
wenn sie über Primatologie schreibt. Dennoch ist ihr Anliegen, sich
mit Primatologie zu beschäftigen, zunächst kein tierrechtlerisches;
ich möchte allerdings die These vertreten, daß sie antispeziesistisch
schreibt. In ihrer Auseinandersetzung mit der Geschichte der Primatologie
kann Haraway zeigen, daß die wissenschaftlichen Beschreibungen und Deutungen
von „Natur" und dem Verhalten von nicht-menschlichen Tieren, hier nicht-menschlichen
PrimatInnen, nicht von menschen-gesellschaftlichen Prozessen zu trennen sind.
Wir sehen in der „Natur", was wir erwarten, die „Natur" ist unser Bild von ihr.
Wir sind keine unbeteiligten BeobachterInnen, sondern bringen unseren kulturellen
und politischen Hintergrund mit in unsere Sichtweisen ein. Besonders die
Primatologie ist in diesem Zusammenhang die Fortsetzung von Politik mit anderen
Mitteln, da nicht-menschliche PrimatInnen als das Bindeglied zwischen „Mensch"
und „Tier" im Sinne der Evolutionstheorie besonders interessant sind, um darüber
zu verhandeln, wie unser Leben aussehen soll. So handelt es sich gewissermaßen
um einen Zirkelschluß: Wir interpretieren das Leben nicht-menschlicher
PrimatInnen auf dem Hintergrund unser menschlichen, weißen, westlichen
Kultur und die Ergebnisse benutzen wir wiederum, um den Status quo unserer Kultur
beizubehalten, indem wir naturalisieren, d.h. mit der „Natürlichkeit" bestimmter
Lebensweisen argumentieren. So wird z.B. die Sexualität von nicht-menschlichen
Tieren so betrachtet, daß nur Sexualitätspraktiken, die in direktem
Zusammenhang mit Fortpflanzung stehen, als solche gelten, und z.B. alle
homosexuellen Handlungen anders erklärt werden, nicht als Sexualität
anerkannt werden. Die „Tatsache", daß Homosexualität nicht
in der „Natur" vorkommt, wird dann wiederum benutzt, um Homosexualität
in der menschlichen PrimatInnen-Gesellschaft als widernatürlich darzustellen
und so zu diskriminieren. Derartige Mechanismen kann Haraway eindrucksvoll
aufdecken, wenn sie die Veränderungen in der Primatologie analysiert, die
sich mit dem Eintritt von weißen menschlichen Primatinnen (Primatologinnen)
in dieses Feld von Erzählungen ergeben. Primatologie ist ein Feld,
in dem politische Kämpfe ausgefochten werden. Deswegen möchte
Haraway auch trotzdem nicht auf biologische Erzählungen verzichten:
„Wissenschaftlerinnen produzieren keine schöneren und schon gar keine natürlicheren
Geschichten als Wissenschaftler. Auch sie produzieren ihre Geschichten
im Rahmen der regelgeleiteten öffentlich anerkannten sozialen Praktik der
Wissenschaft. Sie sind daran beteiligt, die Regeln festzulegen. (...)
Es ist unverantwortlich, sich am sozialen Prozeß der Produktion von Wissenschaft
nicht zu beteiligen oder diesen zu ignorieren und sich lediglich um den Gebrauch
oder Mißbrauch wissenschaftlicher Ergebnisse zu kümmern. Ich
halte es unter den gegenwärtigen historischen Bedingungen für noch
unverantwortlicher, anti-wissenschaftliche Erzählungen über Natur
anzustreben, die Frauen, Fürsorge oder irgendetwas anderes idealisieren,
das angeblich nicht vom männlich-kriegerischen korrumpiert ist. Als
öffentlich anerkannter Mythos haben wissenschaftliche Geschichten einen
zu großen Einfluß auf die Bedeutungen in unseren Leben. Abgesehen
davon, sind wissenschaftliche Geschichten interessant." Leider stellt
Haraway hier nicht die Frage, was es für die nicht-menschlichen PrimatInnen
(und andere nicht-menschliche Tiere) bedeutet, daß wir Geschichten auf
bestimmte, unterschiedliche Arten über sie erzählen, und vor allem,
was es für sie bedeutet, daß sich bestimmte Geschichten durchsetzen.
An anderer Stelle aber erzählt Haraway eine Anekdote, in der sie eine alte
Schulfreundin und deren Familie besucht. Die Söhne verhalten sich
schwulenfeindlich und als Haraway die Mutter daraufhin anspricht, kommt es zu
keiner Auseinandersetzung. Diese findet dann später verlagert statt,
als das Ehepaar und Haraway Enten beobachten und ihr Verhalten interpretieren.
Haraway schreibt in diesem Zusammenhang: „Ich wußte, die Enten verdienten
unsere Anerkennung ihrer nicht-menschlichen Kulturen, Subjektivitäten,
Geschichten und materiellen Lebensformen. Sie hatten schon genug mit den
Schwermetallen und organischen Lösungsmitteln im See zu tun; sie mußten
nicht auch noch in unseren ideologischen Kämpfen Partei ergreifen.
(...) Sie waren in unsere auf beschämende Weise verschobene Auseinandersetzung,
in unseren Streit, den auszutragen wir uns nicht getraut hatten, hineingezogen
worden. Wir hätten über das streiten sollen, was es in unserem
Leben an Homosexuellenfeindlichkeit, Zwangsheterosexualität und Verpflichtung,
bestimmte Arten von Familien für normal zu halten, gab."
Haraways Sichtweise von „Natur", nichtmenschlichen Tieren und anderen
nicht-menschlichen Wesenheiten ist es wert, genauer betrachtet zu werden
aus feministisch antispeziesistischer Perspektive. Sie bricht mit
der abendländisch traditionellen Philosophie, die nur Menschen (bzw.
teilweise nur weißen, besitzenden Männern) Handlungsfähigkeit
zuschreibt. Zunächst möchte ich auf ihren Naturbegriff
eingehen. Für Haraway ist „Natur" in dem Sinne, wie wir sie
heute gängigerweise begreifen ein Konstrukt, das „in den Geschichten
des Kolonialismus, Rassismus, Sexismus und der vielgestaltigen Klassenherrschaft
diskursiv konstituiert wurde als ‚das Andere'." Daraus folgt:
„ Mithin ist Natur kein physikalischer Ort, den man besuchen kann, ebenso
kein Schatz, der sich einzäunen oder horten läßt, auch
keine Wesenheit, die gerettet oder der Gewalt angetan würde."
Die „Natur" ist vielmehr ein Gemeinplatz, der uns darin dient, unsere Gedanken
und unsere Welt zu strukturieren, z.B. in Abgrenzung zur „Kultur".
Somit ist die „Natur" als Begriff von Menschen erfunden worden: „Sie
ist Figur, Konstruktion, Artefakt, Bewegung, Verschiebung. Die Natur
kann nicht vor ihrer Konstruktion existieren." Haraway betont,
daß der Gegensatz Natur/Kultur ein künstlicher ist, ein von
der westlichen Tradition geschaffener, der bestimmte Funktionen erfüllt,
nämlich die Herrschaft der menschlichen Primaten über das, was
als „Natur" definiert wird, zu ermöglichen und zu legitimieren:
„Natur ist lediglich das Rohmaterial von Kultur: Sie wird angeeignet,
bewahrt, versklavt, verherrlicht oder auf andere Weise für die Verfügung
durch Kultur in der Logik des kapitalistischen Kolonialismus flexibel gemacht."
Dabei wird übersehen, daß auch nicht-menschliche Wesen das besitzen,
was wir als „Kultur" nur „uns" zuschreiben und daß menschliche PrimatInnen
sich nicht außerhalb der „Natur" befinden, sondern untrennbar mit
ihr verbunden sind. Für uns Mitglieder der westlichen Tradition
ist „Natur" aber zum Bild der „unberührten Natur" im Gegensatz zu
unserem durch und durch „nicht-natürlichen" Umfeld geworden und wir
versuchen angesichts ihrer zunehmenden Zerstörung, die „Natur" zu
schützen, aber Haraway erinnert daran, daß die Trennung von
„Mensch" und „Natur" eine westliche und kolonialistische darstellt: „Der
Versuch, ‚Natur' in Parks zu konservieren, wird auf fatale Weise beeinträchtigt
durch die unauslöschliche Spur der ursprünglichen Vertreibung
jener, die dort – nicht als Unschuldige im Paradies, sondern als Menschen,
für welche die Kategorien von Natur und Kultur nicht die entscheidenden
waren – gelebt haben."
Damit komme ich zu Haraways Konzeptionen von denjenigen, die handeln,
mit denen sie versucht, die gängige Subjekt/Objekt- Dichotomie zu
unterlaufen. „Wir müssen, jenseits von Verdinglichung, Besitz,
Aneignung und Nostalgie, ein anderes Verhältnis zur Natur finden.
Da sie die Fiktion, entweder Subjekte oder Objekte zu sein, nicht mehr
aufrechterhalten können, müssen alle, die an den entscheidenden
Konversationen teilnehmen, in denen Natur konstituiert wird, eine neue
Grundlage finden, auf der sie gemeinsam Bedeutungen produzieren."
Haraway geht es also darum, unser Verhältnis zu nicht-menschlichen
Wesenheiten neu zu denken, um von der Auffassung, daß wir menschlichen
PrimatInnen Subjekt und alle anderen Objekte sind, wegzukommen. Dabei
betont sie, daß wir nicht die einzigen AkteurInnen sind: „In
ihren wissenschaftlichen Verkörperungen wie auch in anderen Formen
ist die Natur etwas – jedoch nicht ausschließlich von Menschen –
Gemachtes: sie ist eine gemeinsame Konstruktion von menschlichen und nichtmenschlichen
Wesen." Wie können nichtmenschliche Wesen an der Produktion
von Wissen und Objekten beteiligt sein? Haraway bezieht hier die
Vorstellungen von Bruno Latour und anderen mit ein, die auf die Existenz
von nichtmenschlichen Einheiten, die in dem Sinne handlungsfähig sind,
daß sie zur Wissensproduktion beitragen, hinwiesen. Dabei wird
zwischen Akteuren und Aktanten unterschieden. Akteure sind eher als
Charaktere zu verstehen, ein Beispiel für einen Akteur wäre ein
handelnder Mensch, wie wir ihn traditionell verstehen, wogegen Aktanten
auf der Ebene der Funktion zu betrachten sind. So können verschiedene
Akteure gemeinsam einen Aktanten bilden, z.B. all die nichtmenschlichen
und menschlichen Tiere, Pflanzen und sonstigen Wesenheiten, die das Gebilde,
das wir Regenwald nennen, bilden. „Nichtmenschliche Wesen sind nicht
notwendigerweise ‚Akteure' im menschlichen Sinn, aber sie sind Teil des
funktionalen Kollektivs, das einen Aktanten bildet." Für Haraway
sind „Tiere (...) ziemlich offensichtlich Akteure" und verlieren
somit ihren Objektstatus, „sie bewohnen weder die Natur (als Objekt), noch
die Kultur (als Ersatzmenschen), sondern einen Ort namens Anderswo."
Damit ist nicht gemeint, daß nichtmenschliche Tiere in dem Sinne
handlungsfähig sind, daß sie imstande wären, sich aus eigener
Kraft aus ihrer Unterdrückung durch menschliche Tiere zu befreien;
das Gewaltmonopol liegt in der Regel eindeutig auf der Seite der Menschen.
Aber es bedeutet, daß nichtmenschliche Tiere und andere nichtmenschliche
Einheiten (z.B. die Zelle) durchaus an dem Prozeß beteiligt sind,
der sie hervorbringt, bzw. der das hervorbringt, was wir unter „Tieren",
„Körpern" usw. verstehen. Denn bei diesen Begriffen handelt
es sich nicht um Dinge, die einfach so existieren und von uns nur beschrieben
werden müssen, sondern um historisch und kulturell bedingte Vorstellungen:
„Aus meiner Sicht sind Objekte Ablagerungen von Interaktionen und Beziehungen.
Nichts existiert vor dieser Relationalität. (...) Subjekte und Objekte
sind das Ergebnis diskursiver Konstitutionen. Diese Vorstellung von
Diskurs ist aber unzureichend, um die Beziehungen zwischen den unerwarteten
AkteurInnen und AktantInnen in diesen merkwürdigen Unterwelten zu
beschreiben, wo sich Subjekte und Objekte – einschließlich der Zellen
und BiologInnen – ablagern. Die Zelle wartet nicht einfach auf ihre
angemessene Beschreibung. Sie ist extrem kontingent und auf besondere
Weise eingelassen in die spezifischen Beziehungen zwischen Instrumenten,
sozialen, materiellen und literarischen Technologien. Und das sehr
real. Die ‚Zelle' hat eine unbestreitsame Wirksamkeit. Das
ist kein Relativismus. Es heißt nur, daß die Dinge anders
hätten sein können, aber sie sind es nicht. Ich denke,
das ist eine wichtige, subtile Unterscheidung. Zu sagen, die Dinge
hätten anders sein können, ist nicht dasselbe wie zu sagen, sie
seien beliebig." Haraway sagt also, daß es sich bei unserer
Sicht der Dinge nur um eine mögliche von vielen handelt, daß
eine bestimmte Konstruktion sich durchgesetzt hat und zwar aus bestimmten,
bedeutsamen Gründen. Aber sie grenzt sich von den Theorien ab,
die diese Prozesse rein auf der sprachlichen Ebene ansiedeln. Für
Haraway besitzt Materialität, besitzen Körper eine unbestreitsame
Wirksamkeit. Daher ist es auch nicht beliebig, was als Objekt oder
Körper konstruiert wird; die Körper existieren zwar nicht
vor der sozialen Konstruktion, es gibt keinen Körper ansich, aber
es gibt Grenzen dessen, was an Konstruktion möglich ist, die durch
alle an diesem Prozeß Beteiligten gesetzt werden, also auch von den
nichtmenschlichen TeilnehmerInnen: „ So wie bei King als ‚Gedichte'
bezeichnete Objekte Orte literarischer Produktion sind, bei der auch die
Sprache eine von Absichten und AutorInnen unabhängige Akteurin ist,
so sind auch Körper als Wissensobjekte materiell-semiotische Erzeugungsknoten.
Ihre Grenzen materialisieren sich in sozialer Interaktion. Grenzen
werden durch Kartierungspraktiken gezogen, ‚Objekte' sind nicht als solche
präexistent. Objekte sind Grenzprojekte. Aber Grenzen
verschieben sich von selbst, Grenzen sind äußerst durchtrieben.
Was Grenzen provisorisch beinhalten, bleibt generativ und fruchtbar in
bezug auf Bedeutungen und Körper. Grenzen ziehen (sichten) ist
eine riskante Praktik." Obwohl nichtmenschliche Tiere sich in der
Regel nicht an menschlichen sprachlichen Diskursen beteiligen können,
können sie sich nach Haraway also durchaus an speziesübergreifenden,
andersgearteten Diskursen auf unterschiedliche Art beteiligen. Demnach
stellt sich die Chance und das Problem einer speziesübergreifenden
Kommunikation, die sie Konversation nennt. Im Zusammenhang mit der
Problematik des Amazonas-Regenwalds greift Haraway die Frage von Joe Kane
auf, der fragt: „Wer spricht für den Jaguar?" Für
Haraway ist das die falsche Frage, weil sie auf dem Prinzip der Repräsentation
beruht. Die Gefahr von Repräsentation liegt in ihrer Ermächtigung
des Repräsentanten, den Haraway auch als Bauchredner bezeichnet:
„Das Repräsentierte muß aus den es umgebenden und konstituierenden
diskursiven wie nicht-diskursiven Zusammenhängen herausgelöst
und in den Herrschaftsbereich des Repräsentanten verbracht werden."
Dabei wird der „Bauchredner für immer zur Autorität erklärt.
Die Vormundschaft höret nimmer auf. Das Repräsentierte
ist dauerhaft auf den Status dessen reduziert, der Handlungen entgegennimmt,
nicht (und niemals) zum Ko-Akteur in einer artikulierten Praxis einander
unähnlicher aber miteinander verbundener sozialer Partner wird."
Ein weiterer Effekt dieser Art von Repräsentationspraxis ist, daß
diejenigen, die dem Repräsentierten am nächsten sind, am wenigsten
für es sprechen dürfen, weil sie nun als Wesen mit entgegengesetzten
„Interessen" erscheinen, so z.B. die RegenwaldbewohnerInnen im Falle des
Jaguars: „ In der liberalen Logik der Repräsentation müssen
Fötus und Jaguar gerade vor denen geschützt werden, die ihnen
am nächsten sind, vor dem sie ‚Umgebenden'. Die Macht über
Leben und Tod muß an den epistemologisch unparteiischsten Bauchredner
delegiert werden, und wir dürfen nicht aus dem Blick verlieren, daß
es hier überall um die Macht über Leben und Tod geht. Und
wer ist, im Mythos der Moderne, weniger von rivalisierenden Interessen
beeinflußt oder von zu großer Nähe angesteckt als der
Experte und vor allem der Wissenschaftler?" Was es aber für
die nichtmenschlichen Tiere bedeutet, wenn Wissenschaftler und andere vorgeblich
neutrale menschliche Tiere für den Jaguar, die Kuh, die Laborratte
und andere sprechen, brauche ich hier nicht weiter auszuführen.
Daher fordert Haraway die „Neugestaltung von Konversationen mit denen,
die nicht zu ‚uns' gehören. Wir müssen eine in sich schlüssige
Konversation beginnen, in der die Menschen nicht das Maß aller Dinge
sind und in der keine/r einen unvermittelten Zugang zu irgendjemand anderem
beansprucht." In diesem Zusammenhang bespricht sie Barbara Noskes
Buch Humans and Other Animals: Beyond the Boundaries of Anthropology.
Noske beschäftigt sich mit dem Skandal, daß Tieren in der westlichen
Tradition ein besonderer Objektstatus zugewiesen wird, der sie aus allen
gesellschaftlichen Prozessen ausschließt. Somit sind nichtmenschliche
Tiere ein Sonderfall und die Problematik ihrer Befreiung nicht mit der
von Frauen oder anderen menschlichen Tieren gleichzusetzen.
Aber es ist auch nicht sinnvoll, zu versuchen, sie in die Kategorie des
Subjekts mitaufzunehmen: „Das letzte, was Tiere ‚brauchen', ist der
(in welcher kulturhistorischen Form auch immer auftretende) Subjektstatus
des Menschen. Genau dies ist an vielen Diskursen, die sich mit den
Rechten von Tieren auseinandersetzen, problematisch. Das einzige,
was für Tiere dabei herausspringt, ist das ‚Recht' auf permanente
Repräsentation – sie werden (z.B.) in juridischen Diskursen als geringerwertige
Menschen repräsentiert. Mit anderen Worten würden die Tiere
das Recht erhalten, fortwährend ‚orientalisiert' zu werden."
Wenn wir Haraway und Noske hier folgen, hieße das, die Idee von Tierrechten,
wie sie bisher oft vertreten wurde, zu überdenken, denn wie Noske
treffend bemerkt: „In unseren Rechtssystemen müssen Tiere zwangsläufig
als Untermenschen erscheinen. Jedoch sind Tiere nicht die geringeren
Menschen; sie sind andere Welten, deren Anderssein nicht entzaubert und
auf unser Maß zurechtgestutzt werden darf, sondern in seinem Sein
anerkannt werden muß." Haraway bemerkt dazu ebenso treffend:
„Großartig, aber wie soll das geschehen?" Sie diskutiert einige
Ansatzpunkte auf dem Weg zu einer Konversation mit nichtmenschlichen Tieren,
die sich aus Noskes Arbeit ergeben. Zum einen eine andere Art der
Sicht auf die gemeinsame Geschichte von menschlichen und nichtmenschlichen
Tieren, in denen die reine Passivität von nichtmenschlichen Tieren
in Frage gestellt wird, allerdings ohne die Ungleichheit aus den Augen
zu verlieren. Dennoch sollte auch der Einfluß, den nichtmenschliche
Tiere auf die Entwicklung hatten, nicht verleugnet werden; im Sinne von
Val Plumwood trifft hier die Tatsache der Verleugnung der Abhängigkeit
der menschlichen TierunterdrückerInnen von den nichtmenschlichen Tieren
zu. Ähnlich wie menschliche weibliche Tiere bilden auch nichtmenschliche
Tiere einen Hintergrund, ohne den diese Gesellschaft so nicht funktionieren
würde.
Weiterhin bemerkt Noske, daß die Ausbeutung der Tiere das Prinzip der
Intersubjektivität verletzt. Haraway sieht hier den Kern der Sache:
„Was ist Intersubjektivität zwischen radikal unterschiedlichen Arten von
Subjekten? Das Wort Subjekt ist schwerfällig, aber das gilt auch
für alle Alternativen wie Agent, Partner oder Person. Wie bezeichnen
wir radikale Andersheit im Kern einer ethischen Beziehung?" Zweifellos
ist für eine in sich schlüssige Konversation zwischen menschlichen
und nichtmenschlichen Tieren eine Anerkennung unsererseits ihres „andersweltlichen"
Subjektstatus' notwendig. Dazu muß das herrschende Bild von nichtmenschlichen
Tieren allerdings grundlegend erneuert werden, so müßte z.B. endlich
die Natur/Kultur-Dichotomie aufgegeben und anerkannt werden, daß Tiere
ihre jeweilige Welt ebenfalls sozial konstruieren, und darüberhinaus auch
unsere Welt formen. Wird das dichotome Denken von Natur/Kultur, Subjekt/Objekt,
Selbst/Anderes usw. hinterfragt und - sofern dies möglich ist - aufgelöst,
kann Konversation zu einer vielversprechenden Lebensform werden, die sich der
Autonomisierung des Selbst ebenso widersetzt wie der Objektifizierung des Anderen.
Leider läßt Haraway uns hier weitgehend alleine mit der Frage, wie
denn diese speziesübergreifende Konversation nun konkret gestaltet werden
könnte. Eine Möglichkeit wäre mit Sicherheit Empathie,
auch wenn Haraway dies in diesem Zusammenhang nicht explizit benennt.
Allerdings läßt es sich bei einer Geschichte, die sie über sich
und ihre Hausgemeinschaft (ihren Liebsten, einen Hund und eine Hündin)
und den Versuch eines Gehorsamkeitstrainings erzählt, zwischen den Zeilen
herauslesen. Auf jeden Fall hält sie eine speziesübergreifende
Konversation zwar für schwierig, aber durchaus machbar. Ich
denke, daß die meisten Menschen, die sich etwas auf nichtmenschliche Tiere
einlassen, dies bestätigen würden; wir alle haben die Erfahrung
gemacht, nichtmenschliche Kommunikationsformen einigermaßen verstanden
zu haben, jedenfalls soweit, daß ein Zusammenleben möglich ist.
Problematisch ist aber nachwievor, daß menschliche Tiere sich das Recht
nehmen können, für den Jaguar zu sprechen (statt mit ihm) und wir
sie bisher nicht daran hindern konnten. An anderer Stelle, im Zusammenhang
mit wissenschaftlicher Objektivität spricht Haraway direkt über Empathie:
„Empathie gehört zum wissenschaftlichen Handwerkszeug des Westens, sie
wird in einem fortwährenden produktiven Spannungsverhältnis zu ihrem
Zwilling gehalten: der Objektivität. Empathie wird mit dunkel,
verdeckt oder implizit verbunden, Objektivität hingegen verbunden mit hell,
anerkannt oder explizit. Aber beide prägen einander in der Geschichte
der modernen westlichen Wissenschaft, ebenso wie Natur-Kultur und Mann-Frau
in der Logik der Aneignung und des Fortschritts wechselseitig konstruiert werden."
Haraway spielt hier auf etwas an, was andere feministische Theoretikerinnen
zeigen konnten: zum einen, daß Objektivität als die einzige
anerkannte Methode gilt, zu wissenschaftlichem Wissen zu gelangen, daß
dieses Prinzip mit dem Männlichen verbunden wird und das entgegengesetzte
der Empathie mit dem Weiblichen. Daß zum anderen aber die wissenschaftliche
Praxis sich nicht an ihr eigenes Objektivitätsprinzip hält, sondern
daß durchaus gerade Erkenntnissprünge in der Wissenschaftsgeschichte
durch empathische oder intuitive Eingebungen stattfanden. Mit anderen
Worten, es gibt für uns keine guten Gründe an der Empathie-Feindlichkeit
der westlichen Wissenschaft festzuhalten; das Tiertantenklischee hat seine
patriarchale Tradition und dient männlichen Wissenschaftlern und anderen
TierunterdrückerInnen dabei, von ihren Gefühlen zu abstrahieren, um
tierverachtende (sowohl menschliche als auch nichtmenschliche betreffende) Theorien
und Praktiken zu etablieren. Zwar ist die Rechnung „Empathie = weibliche
Eigenschaft = jetzt gut" zu platt und unzutreffend, da die Tatsache, daß
Empathie Frauen zugeschrieben wird, wenig darüber aussagt, ob die einzelne
„Frau" diese Fähigkeit tatsächlich besitzt, aber wir sollten dringend
die Angst davor verlieren, Empathie als Erkenntnismöglichkeit und Möglichkeit,
artübergreifende Konversation zu betreiben, anzuerkennen. Empathie
ist hierbei von Vermenschlichung nichtmenschlicher Tiere unterschieden.
Das können wir von Haraway und anderen Feministinnen lernen.
Schluss
Haraways Einflüsse und ihre eigene Theoriebildung bieten
- wie hoffentlich deutlich geworden ist - einige interessante Ansatzpunkte aus
antispeziestischer Sicht. Bisher haben Vorstellungen, die auf diese Art
von der Konstruiertheit der Kategorien „Mensch" und „Tier" ausgehen, allerdings
kaum oder gar nicht Eingang in tierrechtlerische und ähnlich motivierte
Kreise gefunden. Dieser Aufsatz entstand in der Hoffnung, daß dies
sich ändern könnte und die Fruchtbarkeit einer Feministin wie Haraway
für antispeziesistische Theoriebildung, die dringend nötig ist, wenn
wir unsere Sichtweisen von nichtmenschlichen Tieren umgestalten wollen – jenseits
von Herrschaft, Aneignung, Verniedlichung oder Romantisierung, was alles Formen
von Speziesimus sind, die nichtmenschlichen Tieren schaden – deutlich wird.
Wenn an den Stellen weitergedacht würde, wo Haraway leider oftmals noch
aufhört, könnte sich ein neues Bild von nichtmenschlichen Tieren herausbilden,
das allerdings auch die gängigen Bilder von TierschützerInnen und
TierrechtlerInnen in Frage stellen könnte.
Birgit Bauer
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